Die Krone von Lytar
Illusion gewesen sein. Ein Trick des Lichts, wie Elyra später verkündete.
Tatsächlich war die Sera, die selbst auch irgendwann ihre Rüstung ablegte und wie ihre Gefährten nur noch Reiseleder trug, jünger als zuerst vermutet. Sie war kräftig und athletisch, wenn auch ein wenig zu groß für Garrets Geschmack. Ihr Haar war lang und blond, fast so fein wie Elyras, und ihre grauen Augen strahlten eine seltsame Ruhe und Freundlichkeit aus. Die Rundungen ihres Körpers und ihre katzengleichen Bewegungen ließen sowohl Garret als auch Tarlon das eine oder andere Mal schlucken. Ebenso wie Ranath trug sie nur wenig Schmuck, der ganz schlicht war, unter anderem einen Halsreif aus einem grauen Material mit dem Symbol der Mondsichel darauf. Und sie war nett, wie Vanessa später sagte. Obwohl die Ähnlichkeit mit Sera Tylane groß schien, unterschieden sich die beiden ansonsten sehr. Zwar verstand auch die Sera Meliande etwas von der Heilkunst, aber sie war kein Heilerin.
Mehrere Tische und Stühle wurden in den Vorraum des Depots gebracht, und eine leuchtende Glaskugel spendete warmes Licht. Nunmehr hatten alle die Rüstungen abgelegt und sie sauber in einer Ecke gestapelt. Hier und da sonderte sich einer der Hüter ab, um seine Rüstung zu pflegen und zu reparieren.
So selbstverständlich, wie sie dort saßen, erschienen sie Tarlon bald nicht mehr ungewöhnlich. Sie waren alle muskulös und flink, und bis auf die Sera Meliande, die ihm irgendwie zeitlos erschien, waren sie wohl kaum älter als dreißig. Die sieben waren freundlich, und auch wenn sie als Lehrer streng erschienen, verloren sie selten die Geduld und lachten oft. Was auch immer sie waren, sie gehörten zur Familie.
Wie Elyra schon sagte: Nur das zählte.
»Wenn ich fragen darf, wie kommt es, dass Ihr hier seid?«, fragte Garret irgendwann, als die Sonne langsam über den Wäldern aufstieg. »Ich meine«, fügte er verlegen hinzu, »wir wissen, warum. Aber wieso Ihr?«
Auch die anderen Freunde legten ihre Arbeit nieder und sahen Sera Meliande fragend an.
Sie seufzte. »Wir mögen es nicht, darüber zu sprechen, aber eine ehrliche Frage verdient eine ehrliche Antwort.«
Sie zögerte, griff hinter sich und stellte eine Flasche Wein und ein paar Gläser auf den Tisch. Sie blies den Staub von der Flasche und schenkte sich und den anderen ein. Für einen Moment schien es Tarlon, als ob die Flasche nie leer werden würde, doch dann schüttelte sie den letzten Tropfen in ihren Becher und lächelte ihn an. Es war das erste Mal, dass ein Erwachsener ihnen Wein einschenkte, und die Sera lächelte, als sie sah, wie vorsichtig die Freunde an ihren Gläsern nippten.
»Es ist ein guter Jahrgang«, sagte sie. »Und einige Dinge lassen sich bei einem Wein besser erzählen.«
»Jeder von uns«, fuhr sie fort, »kommt aus einem privilegierten Haus. Wir sind geboren, um zu herrschen. Niemand außer der königlichen Familie stand höher im Ansehen als unsere Häuser. Doch ein jeder von uns versagte, als die Götter uns testeten. Um die Wahrheit zu sagen, wussten wir nicht, dass wir getestet wurden, aber das ändert nichts daran. Als die Zeit kam, zögerten wir und hatten nicht den Mut einzuschreiten. In einem gewissen Sinne kann man uns sogar die Zerstörung Lytars vorwerfen, doch unsere Verfehlung war nur ein kleiner Teil des Ganzen. Um Buße zu tun und um sicherzustellen, dass so etwas nicht noch einmal geschehen würde, und weil das Erbe Lytars zu mächtig ist, um ungeschützt zu bleiben, schufen wir eine mächtige Magie und banden unseren Eid und unser Leben daran.« Sie sah sich um und suchte den Blick ihrer Kameraden, die alle bedächtig nickten. »Wir schworen, nicht zu sterben, bevor unsere Pflicht nicht erfüllt ist. Unsere Magie bindet uns an diesen Platz, solange das äußere Tor geschlossen ist und die Siegel intakt sind. Wie in einem Traum sehen wir die Zeit vorüberziehen, doch sie hat keine Bedeutung für uns. Wir sind nun die Hüter. Und so lange, wie eine jede Kriegsmaschine im Depot sicher verwahrt ist, sind wir nicht imstande zu gehen. Aber wir halten Wache.«
Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Becher. »Aah«, sagte sie und leckte sich die Lippen. »Ich hatte ganz vergessen, wie gut das schmeckt!«
Gemeinsam saßen sie an der Kante zur äußeren Tür, und vor ihnen plätscherte der Bach. Die Lichtung war friedlich, die Bäume am Waldrand gesund und grün. Die Sera sah hoch zum Himmel, den der nahende Morgen rot färbte. Sie schien die
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