Die Krone von Lytar

ihnen. »Passt auf euch auf, ja?« Besonders Elyra schloss sie noch einmal kräftig in die Arme.
    »Das werden wir, Ahnin«, sagte Elyra leise.
    »Mistral wird euch mit den Sternen leiten«, wiederholte die Sera lächelnd, und mit diesem Wunsch, der so alt war wie das Tal selbst, traten die Freunde zurück und sahen zu, wie der schwere Stein vor das Tor schwenkte und das Depot mit einem dumpfen Schlag verschloss. Die zwei Stahlhaken, die Argor und Ralik in den Stein geschlagen hatten, waren nirgendwo zu sehen.
     
    Garret sah auf die Steinwand, runzelte die Stirn und fluchte laut. »Herrje! Ich kann es kaum glauben, dass wir die Pferde völlig vergessen haben! Wir werden nach Hause laufen müssen!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Tarlon und zeigte auf die Baumgruppe, wo ihre Pferde noch immer angebunden waren. Selbst Zaumzeug und Sattel waren unberührt.
    »Jemand muss sich um sie gekümmert haben«, sagte Vanessa und strich ihrem Pferd sanft über die Nüstern.
    »Kennt jemand einen Gott namens Loivan?«, fragte Garret plötzlich, als er sein Pferd sattelte.
    »Nie gehört«, antwortete Vanessa, und auch Elyra schüttelte den Kopf.
    Nur Argor nickte. »Ich habe den Namen einmal gehört, aber er sagt mir nichts.«
     
    »Wie kann das sein?«, fragte Lamar überrascht. »Jeder kennt den Gott der Gerechtigkeit. Er ist einer der Götter, die am meisten verehrt werden!«
    »Nicht hier«, antwortete der alte Mann. »Wir wussten wohl, dass es andere Götter gibt, aber hier im Tal wird nur Mistral verehrt. Vielleicht weil unsere Vorfahren einst die Göttin verrieten, glaubten wir nun umso fester an sie. Von anderen Göttern hörten wir nur von den Priestern, die auf Wanderschaft waren und uns zum Mittsommerfest aufsuchten, um die Trauungen vorzunehmen, denn dieser Bund sollte vor den Augen der Götter geschlossen werden.«
    »Wenn Ihr alle nur an Mistral glaubt, warum traut Euch keine ihrer Dienerinnen?«, fragte Lamar überrascht.
    Der alte Mann sah ihn ernst an. »Habt Ihr nicht zugehört? Zweimal schon ließen die Könige von Lytar die Dienerinnen der Herrin der Welt erschlagen. Nach dem Kataklysmus war uns der Segen der Göttin verwehrt. Wir beteten zwar zu ihr, aber jedem von uns war bewusst, dass wir ihre Gnade, Hilfe und Unterstützung nicht verdienten. Seit dem Kataklysmus fand keine ihrer Dienerinnen mehr den Weg in unser Tal. Wir konnten froh sein, dass sich andere Götter erbarmten, uns ihre Diener zu schicken, sodass unsere Ehegelübde vor ihnen abgelegt werden konnten.«
    »Und obwohl Ihr den Beistand ihrer Dienerinnen nicht besaßet, habt Ihr weiter an sie geglaubt?«, fragte Lamar überrascht.
    »Sie ist überall«, sagte der alte Mann und wies auf Mistrals Stern, der im Rahmen über der Tür des Gasthofs prangte. »Wir glaubten an sie. Es hieß, wir wären ihre Kinder, sie unsere Mutter. Unsere Vorfahren haben sich gegen sie erhoben, wir taten nun Buße. «
    Er sah Lamar eindringlich an. »Vergesst nicht, dass sie uns ihre Gnade gab.«
    »Sie zerstörte die alte Stadt! Wie könnt Ihr das Gnade nennen?«
    »Ihr werdet sehen«, lächelte der alte Mann. »Lasst mich weitererzählen, und Ihr werdet sehen, wie groß ihre Gnade wirklich ist …«
     
    Tarlon sagte nichts, er hörte gar nicht zu, sondern musterte die Wagenspuren und die vielen Fährten, die hoch zum Depot gingen. Das Gras war feucht vom morgendlichen Tau, dennoch hatte es sich noch nicht wieder aufgerichtet.
    »Götter!«, rief Elyra plötzlich. »Nicht nur, dass wir die Pferde vergessen haben, wir haben auch das Mittsommerfest verpasst! Darauf hatte ich mich dieses Jahr wirklich gefreut.« Sie warf einen Blick zurück zu der Steinwand des Depots und seufzte. »Aber das hier war wichtiger.«
    »Ich hasse es, wenn jemand ohne mich seinen Spaß hat«, grummelte Garret, als er sich auf sein Pferd schwang.
    »Das wird er uns bis zum nächsten Sommerfest vorhalten!«, murmelte Argor und bestieg sein Maultier.
     
    Aber dem war nicht so. Als sie das Dorf erreichten, war alles noch für das Fest geschmückt, und niemand schien sie vermisst zu haben. Während die anderen sich mit staunenden Augen umsahen, lächelte Tarlon nur.
    »Danke, Sera«, sagte er so leise, dass es keiner hörte. Durch vorsichtige Andeutungen fanden sie heraus, dass dies der gleiche Tag war, an dem auch die anderen zum Dorf zurückgekehrt waren.
    »Aber wie kann das sein?«, fragte Garret entgeistert.
    Tarlon lachte leise. »Ich dachte mir schon etwas in der Art«, sagte er