Die Krone von Lytar
sich um und sah zu der vermummten Gestalt hoch. Der Graf wusste nicht viel von diesen Wesen. Was er wusste, reichte ihm, um so viel Abstand wie möglich zu halten. Der Kriegsmeister war so groß wie seine Artgenossen. Er trug keine Rüstung, sondern eine schwarze Robe, und ein dunkles Seidentuch verbarg das ganze Gesicht bis auf die Reptilienaugen, die ihn mit unverhohlenem Hunger ansahen. Unbewaffnet, wie der Kriegsmeister war, empfand Lindor ihn dennoch als Bedrohung, und zwar aus gutem Grund. Für Kronoks waren Menschen nichts anderes als Beute, nur dass Belior diesem Wesen hier den Auftrag gegeben hatte, ihn zu beraten.
»Ich sehe, Ihr habt Lytar wohlbehalten erreicht«, sagte Lindor. Ein kleiner Sturm auf dem Weg hätte ihm den Ärger erspart, dachte er missmutig.
»Die Überfahrt war stürmisch«, lächelte der Kronok und zeigte scharfe Zähne. Lindor schluckte. »Habt Ihr getan, was Euch aufgetragen wurde? Was ist mit den Söldnern?«, fuhr das Wesen fort.
»Sie haben wie befohlen im Süden Stellung bezogen und durchsuchen das Gebiet nach Ruinen. Warum habt Ihr ihnen das Soldgeld verweigert?«
»Sie werden bald genug Gold bekommen«, antwortete der Kriegsmeister nachlässig. Er sah über die alte Stadt hinweg nach Osten. »Ich sehe, Eure Leute sind dabei, die Hinterhalte vorzubereiten?«
Der Kronok musste gute Augen habe, dachte Lindor säuerlich, er selbst konnte auf diese Entfernung nichts erkennen. »Wie Ihr es mir … geraten habt.« Er sah von dem Kriegsmeister weg und musterte die ferne Ruinenlandschaft mit vorgetäuschtem Interesse. »Sagt, was spricht dagegen, das Dorf mit einem direkten Angriff zu nehmen? Jetzt wissen wir ja, womit wir zu rechnen haben. Der Angriff der Reiterei war ein Fehler, aber wenn wir von allen Seiten mit den Fußsoldaten …«
»Der Hafen wäre ungeschützt«, unterbrach ihn der Kriegsmeister. »Zudem ist es des Königs Wunsch, dass die Ausgrabungsarbeiten nicht unterbrochen werden. So ist es besser, sie werden nun in unsere Falle laufen. Der König wünscht, den Feind mit minimalem Aufwand zu besiegen.«
»Der Feind besteht aus Bauern, Kriegsmeister.«
»Die Euch eine empfindliche Niederlage einbrachten. Ich las Euren Bericht, das Dorf ist gut geschützt.«
»Nicht gegen schwere Fußsoldaten mit ausreichend Schilden gegen die Pfeile!«, protestierte Lindor. »Wenn ich sie umschließe, werden sie sich ergeben!«
»Ihr werdet nicht gegen meinen Rat handeln, oder?«, fragte der Kriegsmeister fast beiläufig. Er legte eine Hand auf Lindors gepanzerte Schulter. Sechs Finger, schwarze Schuppen und Nägel, die hart genug waren, Lindors Panzer zu zerkratzen.
»Euer Rat ist nur ein Rat«, antwortete Lindor bestimmt. »Noch habe ich hier das Kommando.«
»Nun, dann rare ich Euch, folgt den Anweisungen Eures Herrn«, gab das Wesen Antwort.
Die gelben Augen musterten den Grafen, als ob der Kronok überlegen würde, wie der Graf wohl schmecken könnte. »Vergesst das Dorf! Hätten sie das, was Euer Meister suchte, wäre der Kampf ein anderer gewesen. So aber sind sie unwichtig geworden. Nun besteht Eure Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass die Ausgrabungen hier nicht gestört werden.«
»Es wäre ein Fehler, das Dorf zu ignorieren!«, widersprach der Graf.
»Das weiß Euer Meister auch«, antwortete der Kriegsmeister. »Er hat andere Pläne für das Dorf. Ihr habt versagt. Nun ist es nicht mehr nötig, Euch zu informieren.«
Der Kriegsmeister sah zu dem Drachen hinüber. Dieser lag zusammengerollt in der nordöstlichen Ecke des Daches, das rechte Auge geschlossen. Das andere Auge hingegen fixierte den Kriegsmeister mit einem unheilvollen Blick.
»Ich frage mich sowieso, was der König an Euch findet, dass er Euer Versagen toleriert«, sagte der Kriegsmeister nachdenklich. »Es kann kaum allein der Drache sein.«
Die Antwort werdet Ihr hier nicht finden, dachte Lindor. Auch wenn es ihm schwer fiel, hielt er dem Blick der gelben Reptilienaugen stand.
»Habt Ihr noch einen weiteren Rat für mich?«, fragte der. Graf mit betont neutraler Stimme.
Der Kriegsmeister nahm die Hand von Lindors Schulterpanzer und musterte den Grafen lange. Dann nickte er. »Ihr habt einen Wolfsmenschen gefangen, nicht wahr?«
Lindor fluchte innerlich. Das Wesen war gerade erst an Land gegangen und wusste schon viel zu viel. Erst vor wenigen Stunden hatte er Nachricht erhalten, dass eine Patrouille einen der Wolfsmenschen gefangen nehmen konnte, die schon so lange die Außenbezirke der alten
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