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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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ganz metallisch: »Du bist ein Betrüger, hast du mir denn noch nicht genug angetan?«
    Sie war wie ein kleines Mädchen, sie saß mit dem Hintern auf diesem Haufen von Papier und heulte hemmungslos, wobei sie die einzelnen Töne sehr in die Länge zog. Ich habe noch nie jemanden so traurig und so verzweifelt weinen hören! Ich war fassungslos und habe mich wie ein Sträfling auf die Knie geworfen und sie um Vergebung gebeten. Aber sie hat mich weggestoßen, wahllos nach einer Seite meines Corpus delicti gegriffen und sich damit die Augen und die Nase gewischt. Und immer und immer wieder die Litanei: »Weißt du denn nicht, dass dann die Polizei vor der Tür steht, sie steht vor der Tür und nimmt dich mit, weißt du das denn nicht?!«
    So ging das bis tief in die Nacht, dann stand sie auf, hat sich an der Frisierkommode zurechtgemacht, wollte ihre Tasche nehmen und die Wohnung verlassen. Ich habe sie hastig in den Arm genommen, und wie sie auch um sich schlug und trat, ich habe nicht lockergelassen.
    Sie sagte: »Ich lasse mich scheiden!«
    Ich sagte: »Auf keinen Fall!«
    Sie sagte: »Ich habe Angst vor dir, Li Qi!«
    Ich knirschte mit den Zähnen: »Ich verbrenne es!« Bei mir dachte ich: »Ich verstecke es, das müsste doch gehen?! Oder ich vergrabe es?!«
    LIAO YIWU:
    Hast du es wirklich verbrannt?
    LI QI:
    Ja, ich habe es verbrannt. Xiao Xiao hielt an der Badezimmertür Wache und sah zu, wie ich Seite um Seite verbrannte und die Asche in der Toilette wegspülte. Über hundert Seiten, ich hatte ganz rote Augen, die Muskeln in meinem Gesicht waren verkrampft, aber ich liebe Xiao Xiao, diese Tyrannin. Damit war mein Leben zu Ende.
    Noch Tage später war ich vollkommen ausgebrannt. Xiao Xiao sprach kein Wort mit mir, nur ein paar Modethemen warf sie mir hin und wann ich zu liefern hätte; aber in meinem Kopf war nichts als das vernichtete Manuskript, die herumfliegenden Aschestücke fraßen sich wie Krebszellen in mein Gehirn, ich konnte nichts anderes schreiben. Xiao Xiao sagte: »Du musst dir deinen Lebensunterhalt selbst verdienen!« Ich nickte. Sie sagte: »Nicken nutzt einen Scheiß, du musst arbeiten!«
    LIAO YIWU:
    Wie bist du über diese Zeit hinweggekommen?
    LI QI:
    Keine Ahnung.
    LIAO YIWU:
    Erinnerst du dich noch an den berühmten Text aus dem Hamlet?
    LI QI:
    Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.
    LIAO YIWU:
    Scheidung oder nicht Scheidung, das ist …
    LI QI:
    Das stand außer Frage, ich habe mich nicht scheiden lassen.
    LIAO YIWU:
    Und lebst wie ein Hund.
    LI QI:
    Nur nicht so schroff, hast du noch niemanden geliebt? Weißt du nicht, dass in dem Augenblick, wo du liebst, dieses ganze Gesichtwahren, die Selbstachtung, die Ideale keinen Hundefurz mehr wert sind?
    LIAO YIWU:
    Das ist nicht dasselbe! Auch wenn ihr euch liebt, hättest du Xiao Xiao klarmachen müssen: Erstens, du würdest es auf keinen Fall in Umlauf bringen oder als Buch erscheinen lassen. Zweitens, es sind nur Erinnerungen und Aufzeichnungen deiner eigenen Erfahrungen. Drittens, den 4 . Juni kann man nicht einfach wegwischen, es wird viele Menschen geben, die für sich ähnliche Texte schreiben. Viertens, nur das Schreiben allein bringt noch keinen Ärger, denn das bildet keinen Straftatbestand.
    In Wirklichkeit gibt es heute im Internet unzählige Texte über den 4 . Juni, unter denen besonders die Aussagen der Augenzeugen und der Angehörigen der Opfer, die Ding Zilin von den »Müttern des Tiananmen« gesammelt hat, hervorstechen.
    LI QI:
    1993 gab es noch kein Internet, und ich habe auch keine Ahnung von Computern. Außerdem, wenn sich eine Frau querlegt, hört sie auf keine Erklärungen. Mist ist nur, dass ich ganz genau wusste, dass sie sich verändert hatte, sie war gewöhnlich geworden, aber ich liebte sie noch, mein Verlangen nach ihr wurde Tag für Tag größer.
    LIAO YIWU:
    Masochismus.
    LI QI:
    Wenn ich Masochist wäre, wäre das noch ganz in Ordnung gewesen, aber ich hatte einen ganzen Monat lang überhaupt kein Sexualleben mehr. Ich bin in der Wohnung auf und ab getigert, es wäre mir lieber gewesen, sie hätte an mir etwas auszusetzen gehabt und mich geschlagen. Einmal, es war schon nach Mitternacht, war ich wieder erregt, ich konnte nicht anders und habe meine Hand unter ihre Decke gestreckt. Ich ließ sie eine Weile bebend auf ihrer Brust liegen. Als sie sich nicht rührte, ließ ich sie weiter nach unten wandern; als ich ihre Leistengegend erreichte und sie sich immer noch nicht rührte, schob ich einen Finger

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