Die Kugel und das Opium
Ich male nur Panzer, die Menschen zerquetschen, den Tiananmen, wie er im Blut versinkt, die Göttin der Freiheit … Jeder Pinselstrich auf meinen Bildern ist ein unartikulierter Schrei. Das ist ein ewiges Thema. Vielleicht bin ich kein guter Maler, vielleicht sollte ich reflektieren und noch einmal reflektieren, bevor ich male, aber das geht nicht, ich kann meine Träume nicht kontrollieren, meine Arme und meine Beine. Diese Bilder werde ich nie verkaufen; auch wenn der 4 . Juni irgendwann in der Zukunft einmal rehabilitiert wird, ich werde sie nicht verkaufen. Aber ich möchte dann ein Museum eröffnen, ein Museum für die Schmach einer ganzen Rasse, für dieses Museum werde ich die Bilder hergeben.
LIAO YIWU:
Das ist kein schlechter Gedanke, doch lass uns für den Augenblick einmal beim Anfang beginnen.
WU WENJIAN:
Beim 4 . Juni?
LIAO YIWU:
Vor dem 4 . Juni. Deine Familie? Dein Beruf?
WU WENJIAN:
Ich stamme aus einer Arbeiterfamilie, die »in der Wolle rot gefärbt« war. Im Gebiet von Beijing gab es zwei große staatliche Betriebe, einer war das Hauptstadt-Stahlwerk, einer hieß Yan-Petro (ein petrochemisches Werk am Yan-Berg, das zu China-Erdöl gehörte, es lag im Fangshan-Bezirk von Beijing, mit mehreren zehntausend Arbeitern und Angestellten). Meine Eltern waren Arbeiter in diesem Betrieb, mein älterer Bruder und ich sind beides Werkskinder. Und noch weiter zurück: mein Großvater hat die Antijapanische Universität absolviert, deren Präsident Lin Biao war, und ist 1941 den Heldentod gestorben; mein Großvater mütterlicherseits ist ebenfalls während der Kämpfe in den 40 ern in die Partei eingetreten. Darüber hinaus waren mein Vater, mein Onkel, meine beiden Onkel mütterlicherseits samt und sonders Mitglieder der Kommunistischen Partei. Deshalb habe ich von klein auf die traditionelle revolutionäre Erziehung bekommen: hart, einfach, ein Leben im Kampf für die Kommunistische Partei, Rettung der Menschheit, Unzertrennlichkeit von Armee und Volk und dergleichen.
LIAO YIWU:
Habenichtse, die aufstehen und Revolution machen?
WU WENJIAN:
Meine Familie war nicht einmal arm. Als mein Großvater in der alten Gesellschaft die Fachschule besuchte, ist er heimlich der Partei beigetreten. Nach dem, was mein Großvater mütterlicherseits erzählt, hat er geschrien und geheult, er wollte auf Biegen und Brechen die Antijapanische Universität besuchen. Wie er dann konkret ums Leben gekommen ist, das weiß nicht einmal mein Vater so ganz genau. Mein Großvater mütterlicherseits hat die Partei im Untergrund organisiert und ist von den japanischen Teufeln gefasst worden. Sie haben ihn schlimm ausgepeitscht und ihm ein großes Brandmal auf dem Rücken verpasst. Da er verbissen schwieg, hatten die Japaner keine wirkliche Handhabe, deshalb haben die Verwandten aus dem Dorf zwei Schweine aufgetrieben, um sie den kaiserlichen Soldaten zu überreichen und gegen meinen Großvater einzutauschen. Meine Mutter erzählte, ihr Vater mütterlicherseits sei nicht so gebildet gewesen wie mein anderer Großvater und sein revolutionärer Wille nicht so gefestigt, als die Tenno-Soldaten ihn erschreckten, war sein Mut gebrochen, und er wollte nichts mehr anderes sein als ein einfacher Bauer. In den Kriegsjahren konnte ein Feigling natürlich nicht Kader werden.
Das ist so im Großen und Ganzen meine Familientradition. Deshalb waren meine Eltern, auch wenn sie in der Wolle rot gefärbt waren, ehrliche Arbeiter. Ich bin ebenfalls eine ehrliche Haut, wir Brüder haben die Schule zu Ende gemacht, wurden der Logistik der Yan-Petro zugeteilt und haben kochen gelernt. Wir jungen Leute waren nicht sehr begeistert von der Aussicht, Koch zu werden, aber mein Vater sagte, wohin einen die Partei stellt, dort muss man hin. 1989 war ich gerade mal neunzehn, hatte zwei Jahre in der Kantine hinter mir und war noch nicht fest übernommen worden.
Ich war fasziniert von der Ölmalerei, habe mir eigens einen Lehrer besorgt, gelernt wie besessen und selbst beim Kochen über Malerei nachgedacht, über van Gogh, Gauguin, Picasso. Ich wusste nicht, wie die Studentenbewegung zustande kam, ich hatte auch keine besondere Antenne für politische Stimmungen. Hu Yaobang war erst ein paar Tage tot, als ich mit dem Bus in die Stadt gefahren bin, um mir in der Kunsthalle eine Ausstellung anzusehen. Als ich ausstieg und durch die Straßen zog, entdeckte ich die vielen Studenten, die Fotos von Hu Yaobang hochhielten und demonstrierten. Ich sah vom
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