Die Kugel und das Opium

Beijing-Stadt gebracht. Die Verhandlung dauerte gut eine Stunde. Ich habe nichts gesagt. Die Verteidigung meines Anwalts lief in etwa darauf hinaus, dass in dem Augenblick, in dem der Beklagte die Brandstiftung begangen habe, die Gesellschaft in Aufruhr gewesen sei, einschließlich einer großen Menge von Menschen, die die wahren Zusammenhänge nicht kannten, zu denen der Beklagte auch gehört habe, da er nicht ferngesehen und in der Tat nicht gewusst habe, dass Bürgermeister Chen Xitong bereits den Ausnahmezustand verhängt habe. Weiter sagte er, der Beklagte sei ehemaliger Soldat und habe sich bei der Truppe ordentlich geführt. Er hoffe, das Gericht werde bei der Erstellung des Strafmaßes diese Umstände in seine Überlegungen mit einbeziehen.
    Der Vorsitzende hieß Li Guoqiang. Als er sich erhob und »Todesstrafe mit zweijähriger Bewährungsfrist mit Zwangsarbeit und anschließender Bewertung« verkündete, kroch mir eine Gänsehaut den Nacken hoch. Und dann fragte er noch, ob der Angeklagte etwas einzuwenden habe? Ich sagte, ich sei ja schon zum Tode verurteilt, was ich da denn noch sagen solle. Da erklärte der Vorsitzende, dass Todesstrafe auf Bewährung nicht gleichbedeutend sei mit der Todesstrafe. Wenn ein Angeklagter bereue, ein neuer Mensch werde, sich aktiv bessere, dann könne nach zwei Jahren die Todesstrafe in lebenslänglich umgewandelt werden: Sie sind noch jung, Ihr Lebensweg ist noch lang, wenn Sie gestrauchelt sind, stehen Sie wieder auf, eines Tages werden Sie in die Gesellschaft zurückkehren.
    Ehrlich gesagt, damals hat mein Überlebensnerv auf einen Schlag schlappgemacht. Gleichzeitig fand ich, dass mir unbeschreibliches Unrecht geschah. Ich hielt es nicht aus und fing noch im Gerichtssaal laut an zu heulen; mir liefen die Tränen über das Gesicht, und ich beteuerte vergeblich: Ich bin kein Antikommunist, ich bin auch kein Antisozialist. Ich würde so hoffen, dass Sie das verstehen, ich bin ein anständiger Beijinger Bürger, ich habe damals mit eigenen Augen mit ansehen müssen, dass die Soldaten Menschen erschossen haben. Ich war außer mir vor Zorn, habe die Kontrolle über meine Emotionen verloren, und da erst habe ich mich zu dieser übertriebenen Tat hinreißen lassen. Ich war doch selbst viele Jahre Soldat, ich bin zur Liebe zur Partei, zur Liebe zum Land und zur Liebe zum Volk erzogen worden. Aber wer das am 4 . Juni nicht erlebt hat, das ging wirklich über meine Begriffe. Dann bin ich wieder auf den alten Weg zurück und habe die Partei und das Vaterland angefleht, ihrem Kind, das einen Fehler gemacht hat, Gelegenheit zu geben, zu bereuen und ein neuer Mensch zu werden. Ach! Es war demütigend.
    Am 4 . August bekam ich das offizielle Urteil; am 30 . August wurde ich in das Gefängnis Nr. 1 von Beijing verlegt. Es hat lange gedauert, bis ich erfahren habe, dass es nicht einfach war, am Leben zu bleiben! Meine Eltern sind von Pontius zu Pilatus gelaufen, haben Geld ausgegeben und alle möglichen Beziehungen spielen lassen; ein paar führende Leute aus meiner Einheit sind eigens zum Amt für Öffentliche Ordnung, haben wiederholt ein gutes Wort eingelegt und alles versucht, die Regierung zu überzeugen, dass ich ein guter, aber beeinflussbarer Charakter sei und kein Krimineller. Wenn der Weg weit ist, sieht man, was die Pferde taugen, und im Unglück, wer wer ist – so ist es wirklich.
    Während der Umerziehung durch Arbeit haben sich meine Eltern alle Mühe gegeben und viel Geld ausgegeben, um für mich Berufung einzulegen. Bis sie jemand ermahnte, sich nicht umsonst zu mühen, bei solchen Fällen könne man nichts anderes tun als warten, bis die Großwetterlage sich bessert, vielleicht in ein, zwei Jahren, vielleicht in vier, fünf Jahren. Mein Gott, so viele Jahre sind vergangen! Manchmal denke ich, ohne die beiden hätte ich nicht so lange durchgehalten.
    LIAO YIWU:
    Was machen Ihre Eltern?
    DONG SHENGKUN:
    Mein Vater war vor seiner Pensionierung ein kleiner Kader in unserer Einheit. Anfang 2002 ist bei ihm Magenkrebs diagnostiziert worden, im Mai ist er operiert worden. Aber die Leute zu Hause haben mir das verheimlicht. In dieser Zeit ist bei mir im Gefängnis etwas passiert. Mein lieber Liao, kennen Sie Jiang Qisheng? Er ist eingesperrt worden, weil er an die zuständigen Behörden für eine Rehabilitierung des 4 . Juni appelliert hat.
    LIAO YIWU:
    Ich kenne ihn. Ein sehr anständiger Dissident und Gelehrter.
    DONG SHENGKUN:
    Ganz richtig. 2000 bin ich in das