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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Geld zu verdienen. Vor 1995 war es sehr hart, vor allem die Weiterverarbeitung der Plastikhandschuhe, da musste man hineinblasen, mit der Zeit ist einem die Zunge ganz taub geworden, irgendwas war giftig. Und dann hatten wir eine Zeit, da musste man pro Tag und Mann fünf Pullover stricken, die ganzen Kerle machten Frauenarbeit, da gab es besonders viel nachzuarbeiten. Um sechs in der Früh ging es los, bis nachts um zwei, drei, und dann war man immer noch nicht fertig. Und kaum hatte man sich in der Zelle langgemacht und war ein wenig eingeduselt, musste man schon wieder hoch!
    LIAO YIWU:
    Gab es denn Geld für diese erschöpfende Arbeit?
    DONG SHENGKUN:
    Gab es. Am Jahresende wurde abgerechnet, wir bekamen symbolisch eine Prämie von ungefähr zehn Yuan. Aber das war nicht wichtig, wichtig war die Begnadigung. Für die Freiheit hätten wir uns die Haut abziehen lassen. Ich habe insgesamt siebzehn Jahre, zwei Monate und einundzwanzig Tage gesessen, wir hätten unser Leben riskiert, um ein paar Punkte bei der Umerziehung zu sammeln.
    LIAO YIWU:
    Haben Sie sich nach der Entlassung wieder in die Gesellschaft eingliedern können?
    DONG SHENGKUN:
    Das macht mir Sorgen. Ich gehe auf die fünfzig, ich bin in allem, Essen, Wohnung, noch von meiner Mutter abhängig – frustrierend.
    LIAO YIWU:
    Als ich rauskam, habe ich auch ein paar Jahre bei meinen Eltern gehaust.
    DONG SHENGKUN:
    Meine Mutter hat im Monat gut tausend Yuan Rente, womit sie vorübergehend für Essen und Kleidung für sich und mich aufkommen konnte. Aber sie darf nicht krank werden – als sie das letzte Mal so eine Art Erkältung bekam, hat das 1800 Kuai gekostet. Es ist ausweglos.
    LIAO YIWU:
    Es wäre besser, möglichst schnell Arbeit zu suchen.
    DONG SHENGKUN:
    Mir geht es wie Zhang Maosheng, ich habe unzählige Male Arbeit gesucht, aber wenn die Leute hören, dass ich im Arbeitslager war, dann wollen sie einen ums Verrecken nicht. Man hat mir auch vorgeschlagen, ich solle bei uns zu Hause vor der Tür einen Stand aufmachen und damit mein Leben fristen, aber bevor ich im Knast war, gehörte ich zum Personal einer Druckerei, ich habe keinen Kleinhandel gemacht. Außerdem ist die Ordnungspolizei gnadenlos, die jagen oft genug die Kleinhändler und Kleinstände auseinander, dass es staubt. Ich bin jetzt in einem Alter, da will ich mir das nicht mehr antun. Unsere Familie war für Beijinger Verhältnisse nicht arm, aber die Behandlung für Vater und die siebzehn Jahre, die ich gesessen habe, hat alles aufgebraucht. Ein Glück, dass ich nicht rauche und nicht trinke, verstehst du? Über zwanzig Kuai draußen für eine Stange Dubao, dafür bekommt man im Gefängnis mindestens hundert.
    Die Leute sind nicht mehr wie früher. Dass die Brüder, die früher herausgekommen sind, dich zu einem Essen einladen können, ist schon das Höchste. Die größte Stütze von auswärts kommt immer noch von Lehrer Jiang Qisheng, er hat mir mit aller Gewalt fünftausend Kuai aufgedrängt, ich wollte gar nicht, denn er verdient sein Geld mit Artikeln, er schreibt sich die Finger wund. Aber er sagte, nimm schnell! Ich kann mir wieder was zusammenschreiben, ihr habt es schwerer als ich. Die für den 4 . Juni den schwersten Preis bezahlt habt, das seid ihr sogenannten Rowdys.
    Sofort habe ich Rotz und Wasser geheult! Mein lieber Liao, du darfst mir keine Vorwürfe machen, wenn ich das erzähle, ja? Wer gesunde Hände und Füße hat, nimmt nicht gerne Almosen! Leute wie wir haben mit unserem Herzblut die Studentenbewegung unterstützt, aber das ist so viele Jahre her, die Chinesen haben das vergessen, selbst die Eliten vom 4 . Juni im In- und Ausland kommen nur noch selten auf das Geschehen damals zu sprechen oder stellen sich absichtlich dumm.
    LIAO YIWU:
    Oder sie schreiben Artikel.
    DONG SHENGKUN:
    Ich habe noch keinen gelesen. Ach, ich will Ihnen einen Witz erzählen, lieber Herr Liao. Vor ein paar Tagen hat mich ein alter Freund auf den Blumen- und Vogelmarkt mitgenommen, dort sind wir auf eine Schar von Vögeln gestoßen, die ihr Besitzer im Käfig an die frische Luft gestellt hatte. Er stellte mich ihm protzig vor, das ist mein alter Dong, ein Held im Kampf gegen die Tyrannen, er hat sich den Militärwagen in den Weg gestellt. Er ist gerade rausgekommen. Auf einmal fingen die Leute an zu rumoren, er wolle sie wohl auf den Arm nehmen, der 4 . Juni sei so lange her, die von damals seien alle längst frei! Da setzte mein Freund alles daran zu erklären, dass dem nicht so

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