Die Kugel und das Opium
Straßenrevier hat seinen guten Willen gezeigt und mir einen Dreiradwagen geliehen. Jeden Tag um drei, vier in der Früh, also mit dem »ersten Hahnenschrei«, wenn der Großgrundbesitzer Zhou Halsabschneider seine Knechte aus dem Bett jagt, bin ich los und habe die Vorräte aufgefüllt, denn die sind billiger, wenn man früh dort ist. Und am Abend war ich erst um zehn wieder zu Hause. Manchmal hatte ich so viel zu tun, dass ich nicht einmal aufs Klo gehen konnte.
LIAO YIWU:
Und das Obst bringt etwas ein?
LIU YI:
Je nach Jahreszeit. Alles in allem verkaufe ich täglich zwei Wagenladungen voll, morgens vor sieben muss ich die erste Fuhre verkaufen, dann ist schon ein bisschen was verdient. Nach der Rennerei für die Existenz kam die Rennerei für die Wohnung, ich konnte nicht immer in einem Zimmer wohnen. Wohnungen gab es keine, also habe ich im Bezirk gesucht, der Bezirk hat mich zum Wohnungsamt geschickt, das Wohnungsamt hat mich zum Bezirk zurückgeschickt. Wenn man etwas von denen will, wird es schwierig! Damals bin ich fast ausgerastet, ich hatte ganz rote Augen, wie ein Menschenfresser. Ein paar Monate lang bin ich fast jeden Tag um acht, neun Uhr pünktlich auf dem Wohnungsamt gewesen, die Arbeiter und Angestellten, die da ein und aus gingen, haben schon angefangen, sich über mich lustig zu machen: Was machst du eigentlich hier, jeden Tag stehst du hier pünktlich auf der Matte und fängst mit uns an zu arbeiten! Meinst du, mit deiner Sturheit kannst du dein Problem lösen?
Später sind die Leute auf dem Bezirk sauer geworden und haben einfach die Öffentliche Sicherheit benachrichtigt und mich nicht mehr reingelassen. Aber ich habe mich nicht vertreiben lassen! Ich habe die Zähne zusammengebissen und den Fleischklops gegeben, der den Verkehr aufhält. Eines Tages habe ich gut hundert Meter von der Bezirksverwaltung entfernt einen Wagen angehalten, nach dem Nummernschild zu urteilen jemand von Bedeutung. Ich habe die Autotür festgehalten und gefragt: Entschuldigung, sind Sie der Bezirksamtsleiter? Auf dem Beifahrersitz saß eine junge Brille, eine zurückhaltende und höfliche Person; der Fahrer war ein bisschen älter und kräftiger. Der mit der Brille sagte: Um was handelt es sich denn?
Ich fragte wieder: Sagen Sie doch, sind Sie der Bezirksamtsleiter?
Da hat der am Steuerrad auf einmal Gas gegeben, der Wagen schoss los wie eine Rakete und hat mich unversehens sieben, acht Meter mitgeschleift, meine Schuhe waren komplett hinüber. Wenn ich nicht so viel Kraft in den Händen hätte und mich nicht so gut festgehalten hätte, wäre ich bestimmt vorne an einen Pfeiler geknallt und heute ein Krüppel, wenn ich überhaupt noch am Leben wäre. Anschließend sind sie in eine Tiefgarage abgebogen und schrien dauernd, ich solle mich zum Teufel scheren.
LIAO YIWU:
Das klingt ja wie eine Räuberpistole.
LIU YI:
Sie haben in der Tiefgarage ein paar Runden gedreht, ich habe für einen kurzen Moment die Tür nicht halten können und bin auf den Boden geflogen, ich hatte überall Schürfwunden. Sie sind abgehauen, ich hatte ein lahmes Bein und bin noch ein paar hundert Meter hinter ihnen hergelaufen. So bin ich berühmt geworden. Das Wohnungsamt hat mir schließlich eine Wohnung zugewiesen, über zehn Quadratmeter. Vorher hat dort einer mit den Fünf Garantien [20] gewohnt, wie ein Fremder im eigenen Land, der ist dann ins Altersheim gekommen. Die Wohnung sah aus, als hätte sie über hundert Jahre auf dem Buckel.
LIAO YIWU:
War sie eine Antiquität?
LIU YI:
Ein Filzbungalow, im Sommer heiß, im Winter kalt, die Mauern alle aus Ziegelbruch gemauert, alles löchrig. Aber damals war ich glücklich damit! Schließlich und endlich hatte ich ein Nest nur für mich alleine! Herr Lehrer Liao, einen Augenblick, ich zeige Ihnen meine Eintragung ins Melderegister, die habe ich erst im vergangenen Jahr bekommen.
LIAO YIWU
:
Meine Herren, das war aber nicht einfach! Schließlich hatten Sie aber doch ein gesichertes Leben. Haben Sie sich eine Frau gesucht? In unseren Gesprächspausen haben sie zwei Telefonate entgegengenommen …
LIU YI:
Wo wir von meiner Frau reden, da liegt mir etwas auf dem Herzen, das ist nicht einfach. Wir kennen uns schon über zwei Jahre, sie weiß immer ganz genau, was ich tue; und was ich auch mache, sie unterstützt mich in allem. Und wenn es hart auf hart kommt, dann stecken wir schon einmal die Köpfe zusammen und heulen eine Runde. Sie sagt immer, nicht den Mut verlieren, du hast ja
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