Die Kunst des guten Beendens
Sie hatte die Nähe und Verschmelzung immer gesucht. Nun war sie zu einer erstickenden Umarmung geworden, aus der sie ausbrechen musste.
Was Petra anpackt, wird total: die Liebe zu ihrer Tochter, die Leitung des Reisebüros, der Abbruch der Beziehung zur Mutter, die Sehnsucht nach einem neuen Mann, mit dem sie »völlig verschmelzen« möchte, die Sucht nach Anerkennung und Bewunderung.
Die Therapie stagnierte. Zwar kam Petra regelmäßig, ja sie hing an der Therapie. Doch sie war nicht in der Lage, ihre psychische Wirklichkeit zu erforschen, und sie behandelte den Therapeuten wie sich selbst und andere Menschen: als Objekt, als Erweiterung ihrer selbst. Den Menschen als »anderen« konnte sie gar nicht wahrnehmen. Sie war sich auch nie klar darüber, ob sie die andere Person brauchte oder einfach den Wunsch, mit einem anderen Menschen zu verschmelzen. Petra klammerte sich an ihre Tochter, an die Arbeit, an die Therapien als äußere Quellen von Lebendigkeit, vermutlich mit dem unbewussten Wunsch, damit ihre innere Gefühlswelt zum Leben zu bringen.
Der Therapeut versuchte, ihr sein Empfinden zu schildern. Er fasste es in den Sätzen zusammen, dass auch sie, Petra, von ihm alles verlange, aber nur so, wie sie es wolle. Er erlebe, dass sie in ihrer Bedrängnis von ihm das von der Mutter Vorenthaltene verlange – wie auch von allen anderen Menschen. Und das sei nicht möglich, und es sei für alle zu viel.
Es folgte eine mehrjährige intensive Therapie. Abgrundtiefe Depressionen wechselten mit neuen symbiotischen Liebesgeschichten. Immer wieder deckte eine große Verzweiflung Petra völlig zu. Oft verlor sie ihren Lebensmut. Sie probierte vieleArten von Therapie aus und entzog sich immer, wenn es darauf ankam, sich sich selbst zu stellen. Letztlich nahm sie immer den Fluchtweg, und zwar trotz anderslautender Beteuerungen. Schließlich hörte der Therapeut nichts mehr von ihr. Er fühlte sich schlecht dabei. Er hatte doch sein Bestes gegeben. Wie Petra übrigens auch. Und doch hatte sich etwas Unglückseliges wiederholt. Wiederum war ein Mensch benutzt und gebraucht worden; es war kein gemeinsames Beenden der Beziehung möglich gewesen.
Dies ist ein häufiges Muster bei der Sucht danach, andere Menschen zu brauchen. Und doch lohnt sich jeder therapeutische Einsatz, selbst wenn er misslingt. Es mag trotzdem ein Quäntchen Einsicht und Sicherheit entstehen, das sich dann letztlich beim x-ten Versuch als lohnend und heilend erweist. Man darf nie die Hoffnung verlieren, dass ein nächster Versuch gelingen wird.
Der Versuch, eine Kokainsucht zu beenden
Die folgenden Seiten wurden von einer Frau verfasst, die im Schreiben ihre Kokainsucht verstehen und davon loskommen wollte. Sie hat sich vorgenommen, nur dann zu schreiben, wenn sie drogenfrei war. Ich danke dieser mutigen Frau, dass sie mir ihre Notizen anvertraute.
»Auf dem Grund eines tiefen Brunnens kauernd, die Arme um beide Knie geschlungen – so habe ich mich in den letzten zwei Jahren oft gefühlt. Das Tageslicht, der Geruch der Blumen, das Zwitschern der Vögel, der laue Wind, all das drang nicht zu mir herunter. Dort, wo ich saß, herrschte Dunkelheit, die Geräusche waren gedämpft, die Gefühle dumpf. Auf den Grund des Brunnens hat mich eine Droge geworfen: Kokain. Lange Zeit interessierte sie mich nicht, dann nahm ich sie ab und zu und schließlich hat sie mein Leben dominiert. Sie hat beinahe meine Gesundheit ruiniert, fast meine erste glückliche Liebesbeziehung zerstört.
Sie steckt immer noch in mir, auch heute. Zum letzten Malhabe ich gestern ein Gramm die Nase hochgezogen, ziemlich verzweifelt, weil das verstopfte Nasenloch mir den Flash verwehrte. Gestern Abend dann habe ich beschlossen, ein Tagebuch zu schreiben, das ich ohne Kokain schreiben will, das aber von Kokain handeln wird.
Und nicht nur von Kokain. Sondern von all den Süchten, die mich in irgendeiner Form durchs Leben begleitet haben. Kokain ist nur die extremste unter ihnen. Als Kokainkonsumentin gelte ich als Drogenjunkie, als drogenabhängig. Die Bulimie damals, vor vielen Jahren, hat mich auch zum Problemfall gemacht und mein Suchtpotential gezeigt. Doch ein Junkie war ich deswegen noch lange nicht. Und die zerstörerischen Männerbeziehungen, der Hunger nach Erlebnissen, die Akzeptanz von Gewalt, das Versagen angesichts meiner Leere zeigen erst heute, was sie in der Tat sind: Formen einer Sucht. Einer Sucht, die mich durch mein ganzes Leben begleitet. Entstanden aus einer
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