Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Sie sich das zu Herzen, wenn Sie das nächste Mal an einer Strategiesitzung teilnehmen. Der Alltag in 50 Jahren wird größtenteils so aussehen wie Ihr jetziges Leben. Natürlich, es werden überall neue Gadgets flimmern, die sich angeblicher Zaubertechnologien bedienen. Doch den meisten wird ein kurzes Leben beschieden sein. Der »Bullshit-Filter der Geschichte« (Taleb) wird sie entfernen. Neomanie hat noch einen anderen Aspekt. Früher hegte ich Sympathien für die sogenannten »Early Adopters«, ein Menschenschlag, der ohne die neueste iPhone-Version nicht leben kann. Ich glaubte, sie seien ihrer Zeit voraus. Heute betrachte ich sie als irrationale Menschen, die von einer Art Krankheit befallen sind. Welchen handfesten Nutzen eine Erfindung liefert, ist ihnen im Grunde unwichtig. Was zählt, ist einzig und allein der Aspekt der Neuheit.
Klar ist, dass Sie sich nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen sollten, wenn Sie die Zukunft weissagen. Das zeigt besonders schön Max Frischs 1957 erschienener Roman Homo faber . Frisch lässt einen Professor über die Utopie einer elektronisch vernetzten Welt prophezeien: »Sie werden lachen, meine Herren, aber es ist so, Reisen ist ein Atavismus, es wird kommen der Tag, da es überhaupt keinen Verkehr mehr gibt, und nur noch die Hochzeitspaare werden mit einer Droschke durch die Welt fahren, sonst kein Mensch.« Gelesen hab ich das vor wenigen Monaten – im Flugzeug nach New York.
WARUM PROPAGANDA FUNKTIONIERT
Schläfereffekt
Während des Zweiten Weltkriegs produzierte jede Nation Propagandafilme. Die Bevölkerung, insbesondere die Soldaten, sollte mit Begeisterung für das Vaterland kämpfen und wenn nötig sterben. Die USA gaben so viel Geld für Propaganda aus, dass das amerikanische Kriegsministerium in den 40er-Jahren herausfinden wollte, ob sich die teuren Filme denn auch wirklich lohnten. Mit einer Reihe von Studien versuchte man zu eruieren, wie sich die Haltung gewöhnlicher Soldaten im Anschluss an einen Propagandafilm veränderte. Das Ergebnis war enttäuschend: Die Filme stärkten die Kriegsbegeisterung nicht im Geringsten.
Weil die Filme schlecht gemacht waren? Wohl kaum. Vielmehr wussten die Zuschauer der Filme, dass es sich um Propaganda handelte – was die im Film transportierten Informationen diskreditierte, noch bevor dieser überhaupt lief. Der Film konnte noch so logisch argumentieren oder emotional berühren, die Zuschauer entwerteten die Argumente sofort.
Neun Wochen später geschah etwas Unerwartetes. Die Psychologen maßen die Einstellung der Soldaten zum Krieg ein zweites Mal. Das Ergebnis: Wer den Film neun Wochen zuvor gesehen hatte, bekundete nun eine deutlich höhere Sympathie für den Krieg als jene Soldaten, die den Film nicht gesehen hatten. Offenbar funktionierte die Propaganda doch!
Die Wissenschaftler standen vor einem Rätsel – vor allem, weil man damals schon wusste, dass die Überzeugungskraft von Argumenten mit der Zeit nachlässt. Sie zerfällt wie eine radioaktive Substanz. Das haben Sie sicher schon selbst erlebt: Sie lesen einen Artikel, zum Beispiel über die Vorteile der Gentherapie. Unmittelbar nach der Lektüre sind Sie Feuer und Flamme, doch nach einigen Wochen wissen Sie schon nicht mehr so genau, warum. Nach weiteren Wochen ist von ihrer Begeisterung kaum noch was übrig.
Bei der Propaganda ist es erstaunlicherweise genau umgekehrt. Wird jemand durch Propaganda beeinflusst, steigt die Überzeugungskraft mit der Zeit an. Warum? Der Psychologe Carl Hovland, der die Studien für das amerikanische Kriegsministerium leitete, nannte dieses Rätsel Schläfereffekt ( Sleeper Effect , der Begriff ist der Spionage entlehnt). Die zurzeit beste Erklärung für den Effekt: Das Wissen um die Quelle zerfällt schneller als die vorgebrachten Argumente. Anders ausgedrückt: Das Hirn vergisst relativ schnell, woher die Informationen kamen (vom Propagandaministerium), aber es vergisst nicht so schnell die Information an sich (der Krieg ist nötig und eine gute Sache). Deshalb gewinnen Informationen aus einer unglaubwürdigen Quelle mit der Zeit an Glaubwürdigkeit. Die entwertende Komponente schmilzt schneller dahin, als der Inhalt der Botschaft vergessen geht.
In den USA gibt es kaum Wahlen ohne hässliche Werbespots, bei denen Gegenkandidaten angeschwärzt werden. Immerhin steht am Ende der Spots aber jeweils deutlich und gesetzlich vorgeschrieben, wer den Spot bezahlt hat. Damit ist jedem Zuschauer klar, dass es sich um
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