Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Wissens
Möchten Sie von einem Arzt operiert werden, der tausend Medizinbücher gelesen, aber noch keine Operation durchgeführt hat? Oder doch lieber von einem, der kein einziges Buch gelesen, dafür tausendmal operiert hat?
Wie viele Dinge, die Sie in Ihrem Zimmer sehen, wurden aus Bücherwissen heraus entwickelt und wie viele durch Versuch und Irrtum?
Der CEO eines Pharmakonzerns erzählte mir beim Dinner: »Ich kann es nicht in Worte fassen, was das ist, aber wenn ich durch den Betrieb gehe, merke ich sofort, in welchen Abteilungen es rund läuft und in welchen nicht. Wenn ich Leute einstelle, merke ich schon nach Sekunden, ob es funktionieren wird oder nicht. Wenn ich mit Lieferanten verhandle, weiß ich intuitiv, wer versuchen wird, mich übers Ohr zu hauen. Und wenn ich eine Firma akquiriere, sagen mir die tausendseitigen Berichte der Investmentbanken weit weniger als ein kurzer Rundgang durch den Betrieb.«
»Und wo hast du das gelernt? In Harvard?«
Er schüttelte den Kopf. »Eine Reihe guter Chefs, von denen ich so einiges abschauen konnte. Und natürlich habe ich im Verlauf meiner Karriere tausend Fehler gemacht und daraus gelernt.«
Es gibt zwei Arten des Wissens: jenes, das sich in Worte fassen lässt – und das andere. Wir tendieren dazu, das in Worte gefasste Wissen heillos zu überschätzen.
Nach vierjähriger Bauzeit gelang den Brüdern Wright am 17. Dezember 1903 der erste motorisierte Flug. Sie erfüllten sich und der Menschheit diesen Traum ohne vorheriges Studium wissenschaftlicher Berichte. Es gab noch gar keine zu dem Thema. Erst drei Jahrzehnte später entwickelte sich eine Art Theorie des Flugzeugbaus.
In den 50er-Jahren kam Malcom McLean auf die Idee, Container zu entwickeln. Statt jedes Paket einzeln vom Schiff auf den Lkw umzuladen, setzte er einfach den ganzen Container auf den Lkw. Dank McLean konsumieren wir heute Produkte aus aller Welt, ohne dass die Transportkosten ins Gewicht fallen. McLean hat keine Bücher über die Containerschifffahrt gelesen, bevor er sein Unternehmen gründete. Es gab keine.
Wer hat den automatischen Webstuhl erfunden, die Dampfmaschine, das Automobil, die Glühbirne? Kein Theoretiker und kein offizielles Forschungslabor. Es waren allesamt Tüftler. Wir überschätzen die Intellektuellen, die Akademiker, die Theoretiker, die Schriftsteller, Autoren und Kolumnisten – und unterschätzen die Praktiker und die Macher. Ideen, Produkte und Fähigkeiten kommen vorwiegend durch Probieren und Abschauen zustande, weniger durch Nachlesen und Nachdenken. Nicht durch das Studium von Schwimmbüchern haben wir schwimmen gelernt. Nicht dank den Ökonomen haben wir eine Wirtschaft. Nicht die Lehrstühle für Politikwissenschaften halten unsere Demokratie aufrecht. Ich habe Sympathien für Terence Kealeys Ansicht: Nicht Universitäten führen zu einer prosperierenden Gesellschaft, sondern prosperierende Gesellschaften unterhalten Universitäten, weil sie es sich leisten können. Insofern gleichen Universitäten den Opernhäusern.
Aber was ist denn eigentlich das Problem des in Worte gefassten Wissens? Erstens: Es ist frei von Ambiguität. Ein Text gibt Klarheit vor, wie sie in der Welt nicht zu finden ist. Die Folge: Wenn wir Entscheidungen treffen, die auf geschriebenem Wissen basieren, tendieren wir dazu, ein übermäßiges Risiko einzugehen. Wir wiegen uns in falscher Sicherheit. Klassisches Beispiel sind Investmententscheidungen, die auf akademischen Modellen basieren. Sie sind einer der Gründe für die Bankenkrise.
Zweitens: Menschen, die Bücher schreiben (Ihr Autor eingeschlossen), sind anders verdrahtet als Menschen, die keine Bücher schreiben. Darum dürfen wir Texte nicht als repräsentatives Abbild dieser Welt betrachten. Erdenken Nichtschriftsteller fundamental andere Geschichten als Schriftsteller? Sehr gut möglich. Wir werden es nie erfahren, denn sie schreiben sie ja nicht auf.
Drittens: Worte maskieren Fähigkeiten: Wer sich auszudrücken versteht, gewinnt übermäßig an Status. Wer sich in E-Mails und Vorträgen schlecht ausdrückt, wird nicht befördert. Dabei kann er noch so begabt sein.
Fazit: Das bedeutende Wissen liegt im Praktischen. Legen Sie Ihre Ehrfurcht vor dem Wort ab. So – hören Sie jetzt auf mit Lesen, und tun Sie etwas wirklich Gescheites.
WARUM GELD NICHT NACKT IST
House Money Effect
Ein windiger Herbsttag Anfang der 80er-Jahre. Die nassen Blätter torkelten unschlüssig über den Bürgersteig. Ich war gerade damit
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