Die Kunst des Pirschens
verkündete, ohne daß mein Wille daran beteiligt gewesen wäre, daß ich nun die Verantwortung übernähme und damit la Gorda von jeder weiteren Verpflichtung befreite, irgendwelche Kommentare abzugeben oder ihre Ideen als die einzigen Lösungen darzustellen. Als ich meine Ansprache beendet hatte, erschrak ich über meine Kühnheit. Alle, auch la Gorda, waren begeistert.
Die treibende Kraft hinter meinem Ausbruch war, erstens, ein körperliches Gefühl gewesen, daß meine Nasennebenhöhlen sich weiteten, und zweitens die Gewißheit, daß ich wußte, was Don Juan gemeint hatte und wo der Platz sich genau befand, den wir aufsuchen mußten, bevor wir frei sein würden. Als meine Nebenhöhlen sich weiteten, hatte ich eine Vision des Hauses, das mich so sehr gefesselt hatte.
Ich sagte ihnen, wohin wir fahren mußten. Sie akzeptierten meinen Machtspruch ohne Einwände, ja ohne Anmerkungen. Wir verließen die Pension und gingen auswärts essen.
Danach schlenderten wir bis gegen elf Uhr auf der Plaza umher. Ich holte den Wagen, sie drängten sich lärmend hinein, und wir fuhren los. La Gorda blieb wach, um mir Gesellschaft zu leisten, während die anderen schliefen, und dann setzte Nestor sich ans Steuer, während la Gorda und ich schliefen.
5. Eine Schar zorniger Zauberer
Bei Anbruch der Dämmerung waren wir in der Stadt. Jetzt übernahm ich das Steuer und fuhr direkt zu dem Haus. Ein paar Straßenecken, bevor wir dort anlangten, bat la Gorda mich anzuhalten. Sie stieg aus und ging auf dem erhöhten Bürgersteig weiter. Einer nach dem andern stiegen sie alle aus. Sie folgten la Gorda. Pablito kam zu mir und sagte, ich solle den Wagen auf der Plaza parken, die einen Häuserblock weiter lag. Das tat ich.
In dem Augenblick, als ich la Gorda um die Ecke biegen sah, wußte ich, daß mit ihr etwas nicht stimmte. Sie war ungewöhnlich blaß. Sie kam auf mich zu und flüsterte, sie wolle die Frühmesse besuchen. Auch Lydia hatte dies vor. Die beiden schritten über die Plaza und gingen in die Kirche.
Pablito, Nestor und Benigno waren so bedrückt, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Rosa war verängstigt, ihr Mund stand offen, ihre Augen blickten starr und ohne zu blinzeln zu dem Haus hinüber. Nur Josefina strahlte. Sie klopfte mir kameradschaftlich den Rücken.
»Du hast es geschafft, du Teufelsbraten«, sagte sie. »Du hast diese Hundesöhne das Fürchten gelehrt.«
Sie lachte, bis sie außer Atem geriet.
»Ist das der Platz, Josefina?« fragte ich.
»Klar ist er es«, sagte sie. »La Gorda rannte immer in die Kirche. Sie war damals eine richtige Betschwester.«
»Erinnerst du dich an das Haus dort drüben?« fragte ich und deutete hinüber.
»Das ist Silvio Manuels Haus«, sagte sie.
Wir alle zuckten zusammen, als wir den Namen hörten. Ich spürte so etwas wie einen leichten Stromschlag durch meine Knie fahren. Der Name war mir entschieden unbekannt. Und doch zuckte mein Körper zusammen, als ich ihn hörte. Silvio Manuel war ein so seltener Name, ein so flüchtiger Klang.
Die drei Genaros und Rosa waren ebenso verstört wie ich. Mir fiel auf, daß sie sehr blaß waren. Wollte ich danach urteilen, wie ich selbst mich fühlte, dann mußte ich ebenso blaß sein wie sie.
»Wer ist Silvio Manuel?« vermochte ich endlich Josefina zu fragen.
»Jetzt hast du mich erwischt«, sagte sie. »Ich weiß es nicht.«
Sie beteuerte wieder einmal, daß sie verrückt sei und wir das, was sie sagte, nicht ernst nehmen dürften. Nestor flehte sie an, uns zu erzählen, woran sie sich erinnerte.
Josefina versuchte nachzudenken, aber sie war ein Mensch, der unter Streß nichts leisten konnte. Ich wußte, es würde ihr besser gelingen, wenn niemand sie fragte. So schlug ich vor, wir sollten eine Bäckerei suchen -oder ein Lokal, wo wir essen könnten.
»In diesem Haus, da ließen sie mich nicht viel tun. Das ist das einzige, woran ich mich erinnere«, sagte Josefina unvermittelt.
Sie drehte sich um, als ob sie etwas suchte oder als ob sie sich orientieren wollte.
»Irgend etwas fehlt hier!« rief sie. »Es ist nicht ganz so, wie es früher einmal war.«
Ich versuchte ihr mit, wie mir schien, geeigneten Fragen nachzuhelfen, etwa ob irgendwelche Häuser fehlten oder frisch gestrichen wären, oder ob neue gebaut worden wären. Außerdem war ich nicht einmal davon überzeugt, daß die Männer damals Don Juan und Don Genaro waren.
Aber Josefina konnte nicht herausfinden, was sich geändert hatte.
Wir gingen zur Bäckerei und
Weitere Kostenlose Bücher