Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
hatte ihr Geschrei gehört, gesehen, wie sie sich um ihn geschart hatten, wie jemand ein Handy gezückt und telefoniert hatte.
Irgendjemand hatte den Unfall arrangiert, oder jemand hatte ihn zu seinem Vorteil genutzt, so viel war klar. Nennen wir ihn Chiba. Webster brauchte einen Namen. Vielleicht hatten Chibas Männer gesehen, wie er Qazai gefolgt war; vielleicht hatten sie gesehen, wie er in seiner Djellaba darauf gewartet hatte, dass ihr Treffen zu Ende war. Wie auch immer es dazu gekommen war, sie hatten ihn entdeckt, da war er sich sicher; und er war sich auch sicher, dass er bald den Mann treffen würde, den er so unbedacht gejagt hatte.
Als sein Arm ermüdete, wurde sein Hämmern langsamer, und er fragte sich, wie lange er das schon machte. Zehn Minuten? Zwei? Erneut schnippte er das Feuerzeug an und warf einen Blick auf seine Uhr, die glücklicherweise heil geblieben war; halb elf, es waren gut vier Stunden vergangen, seit Qazai und Senechal in der Gasse an ihm vorbeigelaufen waren. Er hämmerte noch ein, zwei Minuten weiter, doch sein gesunder Arm tat inzwischen fast genauso weh wie der Rest seines Körpers, und nur ungern gestand er sich ein, dass er aufhören musste. Geschwächt vom Stehen – außerdem hatte er seit Stunden nichts mehr getrunken und noch länger nichts mehr gegessen –, lehnte er seinen Kopf gegen die Tür und gab der heranstürzenden Woge der Angst nach, die er mit dieser sinnlosen Maßnahme, seiner einzigen Hoffnung, bekämpft hatte. Wie, fragte er sich, war er in diese Lage geraten? Ihm war kotzübel, und leicht schwankend schlurfte er zu der Platte hinüber, auf der er gesessen hatte, legte sich hin und fiel schließlich in einen fiebrigen Halbschlaf.
Nach bruchstückhaften Traumfetzen kam er immer wieder zu sich. In seinen Träumen spielten mehrere Kinder, nicht seine eigenen, in fremdartigen Landschaften, wo die Sonne so heiß war und ihr grelles Licht so stark, dass über jeder Szene eine Atmosphäre stummer Gefahr lag.
Das Knirschen eines Schlüssels, der im Schloss herumgedreht wurde, riss ihn aus dem Schlaf, und eine Sekunde später wurde er vom bläulich-weißen Schein einer Lampe vollends geweckt. Im Türrahmen stand eine dunkle Gestalt und sagte etwas, was er nicht verstand. Er konnte nichts weiter tun, als in das helle Licht zu blinzeln.
»Aufstehen«, sagte die Gestalt. »Sofort.«
Webster drückte sich mit dem Ellbogen nach oben, doch bevor er sich setzen konnte, wurde er an seinem anderen Arm gepackt und hochgezogen. Der Atem des Mannes stank nach muffigem Tabak und nach altem Essen, und an den Rändern seiner Silhouette war der undeutliche Umriss eines Bartes zu erkennen.
»Los.«
Die Hand des Mannes umklammerte fest seinen Oberarm und führte ihn aus der Zelle einen Flur hinunter, dessen unverputzte Betonwände von einer einzelnen Neonröhre beleuchtet wurden. Es gab hier weder Gegenstände noch irgendwelche Besonderheiten, die auf die Art des Gebäudes hindeuteten. Es waren auch keine Geräusche zu hören, außer ihre Schritte, die laut über den Betonboden hallten. Auf derselben Seite wie die Zelle gingen drei weitere Türen ab – aus Holz, wie Webster bemerkte, und ohne Schlösser –, dann bog der Mann in einen zweiten Flur, klopfte fest an eine Tür zur Rechten und trat, ohne eine Antwort abzuwarten, ein.
Der Raum war weiß getüncht und wurde von einer Neonröhre in ein unerträglich grelles Licht getaucht, und es roch nach Hitze und Schimmel. Er hatte keine Fenster. Als Webster humpelnd und blinzelnd eintrat, konnte er hinter einem Schreibtisch einen Mann erkennen und einen weiteren, der an der Wand gegenüber der Tür stand; beide trugen Anzüge – der erste einen schwarzen, der zweite einen grauen – und weiße Hemden ohne Krawatte. Sie sahen sich nur oberflächlich ähnlich. Der eine war schlaksig, und seine schmalen Extremitäten waren unglaublich lang, er hockte hinter dem Schreibtisch wie ein Krebs, der versuchte, sich in eine schmale Lücke zu zwängen. Sein Anzug war zerknittert und an einigen Stellen grau vom Dreck, und er hatte ein längliches, hageres Gesicht.
Der andere Mann war kleiner, sein Körper war muskulös, die Haut in seinem Gesicht spannte sich straff über die Knochen, und seine Haltung war voller Spannung, als würde er seine geballte Energie nur mit Mühe zurückhalten und könnte es kaum abwarten, sie endlich rauszulassen. An seinem Hals, dessen Muskeln stramm und unnachgiebig wie dicke Kabel waren, wuchsen schwarze und
Weitere Kostenlose Bücher