Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
seinen Rücken schonen konnte, indem er sich im Schneidersitz auf den Boden hockte, denn für einen Mann in einer Djellaba war das durchaus akzeptabel. Er versuchte, so gut es ging, seine Schuhe zu bedecken, denn sie waren aus Leder und wirkten zu englisch. Abgesehen vom Aufruf zum Nachmittagsgebet, bei dem er für einen kurzen Moment das Gefühl hatte aufzufallen, waren sonst keine Geräusche zu hören, und es kam kaum jemand vorbei: ein Mann, der ein Fahrrad vor sich herschob, ein groß gewachsener Typ in einem staubig schwarzen Anzug, mehrere Männer und Frauen, die wie er gekleidet waren. Er konnte nur die korallenartig verputzte Wand vor sich anstarren und darauf warten, dass Kamila in seine Gasse kam, denn das bedeutete, dass das Treffen zu Ende war und er der nächsten Person, die er erblickte, folgen sollte. Driss hatte ihm eine Flasche Wasser gebracht, und da er nur wenig davon trank, hielt sie bis sechs Uhr, als die Hitze ein wenig nachließ und der Himmel sich kobaltblau verfärbte. Das Hemd unter seinen Gewand war inzwischen feucht und kalt vom Schweiß.
Das Handy steckte anklagend in seiner Gesäßtasche: Er sollte Elsa eine Nachricht schicken. Er hatte sie gestern angerufen, doch sie war nicht rangegangen. Aber kämpfte er hier nicht für seinen guten Ruf und die Zukunft seiner Familie? Und was hätte Elsa von ihm gehalten, wenn er vor Qazai kapituliert hätte? Er fragte sich, ob ihr ihre Sicherheit tatsächlich wichtiger war als seine Prinzipien, und ob sie ihre eigenen etwa bereitwillig verraten würde.
Er war so sehr in diesen einseitigen inneren Disput vertieft, dass er Kamila, als sie schließlich auftauchte, zunächst gar nicht bemerkte, erst, als sie im Vorbeigehen »Jetzt« flüsterte. Hinter ihr war niemand zu sehen, aber direkt um die Ecke konnte er Schritte hören; er neigte den Kopf und rührte sich nicht. Zwei Paar Füße kamen in sein Sichtfeld und liefen vorbei, eines in Schnürschuhen aus schwarzem Leder, das andere in braunen Wildlederschuhen. Senechal und Qazai. Websters Herz machte in seinem Brustkorb einen Sprung. Er und Driss sollten ihnen folgen; Kamila und Youssef würden hierbleiben, um weitere Personen zu beschatten, die womöglich das Haus verließen. Webster wartete, bis seine Zielpersonen um eine Ecke gebogen waren, dann lief er los. Irgendwo hinter ihm schloss Driss sich ihm an.
Senechal hatte einen Stadtplan dabei, und hin und wieder drosselte er das Tempo, um einen Blick darauf zu werfen; Qazai, der merkwürdig in sich zusammengesunken war, ließ ihn machen und schien sich nicht dafür zu interessieren. Webster hielt Abstand und rechnete bei jeder Ecke damit, dass Driss neben ihm auftauchte; doch das passierte kein einziges Mal, und sobald Senechal weiterging, nahm er erneut die Verfolgung auf. Nach und nach wurden aus den Gassen Straßen, und es waren wieder Verkehrslärm und Gebrüll zu hören. Webster vermutete, dass sie sich jetzt am Rand der Medina befanden, und fragte sich, was er tun sollte, wenn seine Zielpersonen plötzlich ein kleines Peugeot-Taxi anhalten und davonbrausen würden. Mit etwas Glück würde er sie an Qazais Hotel wieder aufgabeln, in der Hoffnung, dass Kamila und Youssef ihren Part besser machten.
Nach fünf Minuten Fußmarsch liefen Qazai und Senechal durch einen spitzen Bogen auf einen weiten, belebten Platz. Fahrräder und Autos rasten darüber und umkurvten die Eselskarren, die ihnen in die Quere kamen, die Läden dort machten gerade Feierabend, und die Waren wurden abgebaut, sodass nur noch leere Wände zurückblieben. Der Geruch von brennendem Holz und Kohle erfüllte die Luft. Webster beobachtete, wie die beiden Männer zur hinteren Ecke liefen, und fiel dabei weiter zurück, als ihm lieb war, dann folgte er ihnen vorsichtig im Abstand von dreißig Metern und gab sein Bestes, sie im Auge zu behalten, während er sich seinen Weg durch den Verkehr bahnte. Kurz vor der Straße, die von dem Platz führte, blieb Senechal stehen und zückte seinen Plan. Qazai stellte sich neben ihn und schaute mit einer Vierteldrehung seines Körpers über die Schulter in Websters Richtung.
Das war das Letzte, was Webster sah, das irgendeinen Sinn ergab. Denn dann wurde er von etwas Schwerem getroffen; er merkte, dass er sich hilflos leicht fühlte, über den staubigen Boden schlitterte und mit dem Gesicht im Schmutz liegen blieb. Dicht über sich konnte er den Huf eines Esels erkennen, das Horn war grau und rissig, aber er schaffte es nicht, den Kopf zu
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