Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
vereinzelt eine schwere, beschlagene Tür in die private Welt der Stadt.
Inzwischen hatten sie einen ruhigeren, beengteren Abschnitt erreicht, und alle zehn Meter bog Qazai um eine Ecke; hier gab es keine Menschenmengen, hinter denen man sich verstecken konnte, und Webster, der versuchte, nur Kamila im Auge zu behalten, fand es immer schwerer, mit ihr auf Tuchfühlung und gleichzeitig außer Sichtweite zu bleiben. Die Straße lag jetzt im Schatten, die Gebäude wirkten höher, und Webster hatte das Gefühl, als würde er in immer dunkleren, engeren Kreisen langsam abwärtssteigen. Die Wände um ihn herum hatten die Farbe von Rotholz, und die Luft war stickig und starr.
Plötzlich stand Kamila nur zwei Meter von ihm entfernt und spähte vorsichtig um eine weitere Ecke, mit der Hand auf dem Rücken forderte sie ihn auf, stehen zu bleiben. Er stand, so gut er konnte, reglos da, während er in der Stille seinen eigenen Atem hörte. Mit angespanntem Körper schaute Kamila weiter hinüber, und als sie überzeugt war, dass sie genug gesehen hatte, drehte sie sich um und presste sich mit dem Rücken gegen die Wand.
»Er hielt vor einem Haus fünf Meter von hier.« Sie flüsterte. »Er hat einmal leise angeklopft. Dann noch mal. Und jetzt ist er gerade reingegangen.«
»Was machen wir?«
»Wir warten hier.«
Sie verschwand um die Ecke und war für eine Minute fort.
»Okay«, sagte sie dann. »Es könnte schlimmer sein. An der Tür steht ein Mann. Wenn sie wieder rauskommen, müssen sie entweder hier zurück, oder sie gehen in die entgegengesetzte Richtung, in eine lange Gasse mit nur einer Abzweigung. Zu dritt können wir alles im Auge behalten. Aber ohne dich. So wie du angezogen bist.«
Sie nahm ihr Handy aus ihrer Handtasche, wählte, sagte ein paar Worte auf Französisch und legte dann auf.
»Sie werden in zehn Minuten da sein. Du solltest besser nicht hier warten. Geh den Weg zurück, den wir gekommen sind: nach links, die zweite rechts und noch mal links. Zu deiner Rechten siehst du dann den Eingang zu einem Hof. Einen Torweg. Versteck dich dort.«
Webster tat, was sie gesagt hatte, und wiederholte beim Gehen ihre Anweisungen. Er kam sich wie auf dem Präsentierteller vor und ziemlich überflüssig. Hätten George Black und seine Leute die Sache anders angepackt? Meistens war man bei einem Überwachungsauftrag mit einem Auto auf den breiten Straßen einer Stadt unterwegs, wo man sich einreden konnte, dass es sich dabei um eine ernsthafte Tätigkeit handelte; hier erinnerte das Ganze mehr an ein Kinderspiel, an eine unbeholfene Variante von Verstecken.
Als er den Torweg erreicht hatte, wollte er eine Zigarette rauchen; bevor er sie herausnahm und sich ansteckte, atmete er das würzige Aroma der Packung ein. Der Rauch waberte durch den Hof, der still und menschenleer war, hier stand auch kein Krempel herum, und drei Türen führten in mehrere Häuser, deren Fenster alle verschlossen waren. Beim Betreten hatte ihm das Herz bis zum Hals geschlagen, doch kurz darauf beruhigte es sich wieder, und für eine Weile fühlte er sich seltsam friedvoll.
Driss war es, der ihn schließlich abholte. Er hatte eine Reisetasche über der Schulter, und er zog ein großes Stück kastanienbraunen Stoff hervor und reichte es Webster.
»Zieh das an. Über deine Klamotten.«
Als Webster es auseinanderfaltete, sah er, dass es sich um ein langes Gewand mit einer spitzen Kapuze handelte. Eine Djellaba, wie die von Kamila. Der Stoff fühlte sich rau in den Händen an.
»Setz die Kapuze auf, und niemand wird dich erkennen. Die Sonnenbrille brauchst du nicht.«
Es war lange her, dass Webster sich verkleidet hatte, und nach kurzem Zögern – mehr aus Überraschung als aus Widerwillen –, zog er das Gewand über den Kopf und ließ die aufgerichteten Arme durch die Ärmel gleiten. So war er zuletzt in der Schule in ein Chorhemd geschlüpft. Das Gewand war unerwartet leicht und roch nach alten Büchern. Mit beiden Händen stülpte er sich die Kapuze über den Kopf, und augenblicklich fühlte er sich abgeschottet von der Welt, ja unsichtbar; er hätte jetzt in das endlose Gewirr von Gassen abtauchen können, ohne wieder in sein altes Leben zurückzukehren. Nachdem er vollständig verkleidet war, folgte er seinem Führer aus dem Hof hinaus.
In einem Auto, mit einem Partner, kann man leichter die Zeit totschlagen als alleine in einem nichtssagenden Durchgang. Die erste halbe Stunde verbrachte Webster stehend, bis ihm klar wurde, dass er
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