Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
sah, wo sich Geld verdienen ließ und wie hoch das Risiko war. Die berauschende Wirkung dieser Erkenntnis hatte ihn nie wirklich verlassen. Zumindest nicht bis vor zwei Monaten.
Damals vertraute der anonyme Investor den Qazais weitere Gelder an; sie nahmen sich in Mayfair ein Büro, stellten eine Sekretärin und einen Immobilienanalysten ein, und das Geschäft florierte. Dann wurde sein Vater krank. Er war Raucher, und seine Lunge war hinüber. Nachdem er wusste, wie schlimm es um ihn stand, war er, selbst für seine Verhältnisse, überaus besorgt wegen der Zukunft der Firma – er redete von seinem »Vermächtnis«, als handle es sich eher um einen Fluch als um Vermögenswerte. Hinter diesen Sorgen schien sogar seine Krankheit zurückzutreten, und eines Tages, er wirkte schon schwach, war er nach Paris geflogen, um sich mit ihrem Investor zu treffen, den Qazai nie getroffen hatte und dessen Namen er immer noch nicht kannte.
Damals lebte Qazai mit Eleanor in Kensington, und obwohl sie nicht verheiratet waren, war sie schwanger mit Timur. Es war noch früh in der Schwangerschaft, und niemand wusste davon. Es war eine verheißungsvolle und aufregende Zeit. Am Abend rief sein Vater an, um ihm mitzuteilen, dass er in Begleitung des Investors aus Paris zurückgekehrt sei und dass sie sich alle treffen müssten. Eleanor war mit ihrer Schwester ausgegangen, und Qazai schlug vor, sich in seiner Wohnung zu treffen. Mit ziemlich zittriger Stimme erklärte sein Vater sich einverstanden.
An jenem Abend stellte Nezam sich nur als Kamal vor; es dauerte zehn weitere Jahre, bis Qazai seinen vollständigen Namen erfuhr. Mit sanfter, tiefer Stimme, die wie das Brummen einer Wespe klang und Qazai sogleich irritierte, erklärte er, dass das Geld, das man ihnen anvertraut habe, von größerem Wert sei als sonst. Damit würden wichtige Vorhaben finanziert, zum höheren Ruhm des Iran. Zunächst glaubte Qazai, es handle sich bei dem Geld um eine Art Kriegskasse für die Opposition des Landes, doch dann erklärte Kamal in einem zunehmend bedrohlichen Tonfall, die Übergabe des Geldes an sie stelle einen heiligen Vertrauensbeweis dar, den man großzügig entlohnen würde, genauso wie sein Verlust oder die Preisgabe seines Verbleibs ein Akt der Ketzerei sei, der nach heftiger Bestrafung verlange, und damit war klar, dass der Mann im Namen des Feindes sprach. Er erwähnte weder die Revolution noch den Ajatollah noch die Revolutionsgarde, aber das war auch nicht nötig. Während Kamal redete, hatte Qazais Vater den Blick zu Boden gerichtet und unterdrückte hin und wieder ein Husten, unfähig, seinem Sohn in die Augen zu schauen.
Und damit war die Sache besiegelt. Man machte ihnen klar, dass das, was als Familienunternehmen begonnen hatte, auch nur die Familie etwas angehe, und dass der jüngere Qazai sich an dieselben strikten Regeln halten müsse wie sein Vater: keine krummen Dinger und kein falsches Wort. Die Missachtung dieser beiden simplen Grundsätze habe den Tod zur Folge, ihren und den aller ihnen nahestehenden Menschen.
Hin und wieder würden weitere Gelder bei ihnen eingehen; und hin und wieder würde etwas abgehoben werden, wenn man woanders Mittel benötige.
Also wurden aus fünfzehn Millionen zwanzig, dreißig, sechzig, hundert. Als es über dreißig Millionen waren, starb Qazais Vater. Und als Qazai sich drei Jahre später um neue Investoren bemühte, war es aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner bisherigen Bilanz kein Problem, welche zu finden – wohlhabende Familien, die eine anständige Rendite erwarteten. Daraus entstand die Shiraz Holding, und damit machte er sein erstes eigenes Vermögen. Die iranischen Gelder vermehrten sich stetig, aber das war inzwischen nicht mehr alles, und nachdem er Tabriz gegründet hatte und beträchtliche Summen investierte – Pensionsbeiträge, Versicherungsgelder, gewaltige Summen, die er konservativ anlegte –, vergaß er gelegentlich das zwiespältige, vergiftete Erbe, das sein Vater ihm hinterlassen hatte. Aber nie für längere Zeit: Es waren merkwürdige Kunden, anspruchslos und mehr oder weniger uninteressiert, trotzdem machten sie viel Arbeit. Die Gelder gingen jedes Mal auf wunderlichen Wegen bei ihm ein und mussten auf verschlungenen Pfaden weitergeleitet werden, normalerweise über Firmen, die Qazai an merkwürdigen Orten selbst gegründet hatte – oder Senechal, sein treu ergebener Leutnant.
Die Erwähnung seines Namens schien Qazais Redefluss zu unterbrechen, und für
Weitere Kostenlose Bücher