Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
inzwischen überzeugt, lebte er auch alleine.
Hammers Begeisterung für andere Menschen war allumfassend und machte keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Alt und Jung, zwischen Männern und Frauen. Und in der Regel war sie spontan: Er war ein durch und durch neugieriger Mensch und für jemanden, dessen Beruf es war, Geheimnisse aufzudecken und für sich zu behalten, erstaunlich offen. Webster war da ganz anders. Seit seiner Zeit in Russland hütete er sich vor den Mächtigen. Und im Gegensatz zu Hammer war er auch nicht logisch und reflektierte unablässig seine Situation, denn er fand nun mal, dass man Menschen, die über ein akzeptables Maß hinaus nach Wohlstand und Einfluss strebten, nicht trauen konnte – dass es kein ehrenwertes Motiv gab, ein Oligarch oder Milliardär zu sein. Im besten Fall waren sie bloß aufgeblasen, im schlimmsten Fall böse, und in einer Welt, in der die meisten Menschen immer noch arm waren, besaßen sie alle, soweit er das beurteilen konnte, mehr, als ihnen zustand.
Doch Qazai war ein interessanter Fall. Er hatte sein Vermögen auf legale Weise verdient, hatte einen tadellosen Ruf und vertrat eine vernünftige Firmenphilosophie. Er spendete für wohltätige Zwecke, half dabei, eine alte, bedrohte Kultur zu bewahren, und wetterte öffentlich gegen ein böses, abscheuliches Regime; was seine guten Taten betraf, konnte Webster nicht hoffen, es ihm jemals gleichzutun, jedenfalls nicht, solange er weiter diesem unsicheren Job nachging. Qazai war höflich – ein wenig selbstverliebt vielleicht, allerdings mit einer gewissen Berechtigung angesichts der vorhandenen Hinweise. Trotzdem, obwohl Webster keinen triftigen Grund dafür hatte, beschlich ihn das untrügliche Gefühl, dass mit Qazai irgendetwas nicht stimmte.
Während er schwamm, hatte er Mühe, die Einzelteile seines Falls zusammenzufügen; die beklommene Stimmung bei Mehrs Gedenkfeier; die Theatralik ihres Meetings; Qazais einnehmender Charme; der kalte, steife Senechal, jemand, der ein Geheimnis für sich behalten konnte, keine Frage, der das aber womöglich nicht gerne tat. Und klang die Geschichte – der Verkauf des Unternehmens, der in seiner Ehre gekränkte bedeutende Mann – glaubwürdig? Vielleicht, doch er hatte das Gefühl, dass ein Mann wie Qazai nicht eine bescheidene Detektei aufsuchen würde, um seine Ehre wiederherzustellen.
Bei der vierzigsten Bahn wurde er müde, und seine Gedanken wanderten zu Richard Lock, wie so oft, wenn er hier war; an diesem Ort versuchte er aus dem schlau zu werden, was sich vor einem halben Jahr in Berlin zugetragen hatte. Lock war ein Anwalt, den man dafür bezahlt hatte, Gelder und Gewinne beiseitezuschaffen und sie als seine eigenen auszugeben, damit sein russischer Klient unbeobachtet weiterstehlen konnte. Webster war engagiert worden, um diesen Schwindel aufzudecken, allerdings wollte sein damaliger Auftraggeber nicht, dass man die Sache wieder geraderückte, sondern dass der Betrüger entlarvt wurde, in seinem eigennützigen Interesse. Er und Lock waren beide Strohmänner gewesen, man hatte sie beide manipuliert. Obwohl Webster Locks Ermordung bedauerte, schämte er sich am meisten dafür, dass er sich zum Affen gemacht hatte. Die Sache würde ihm ewig nachhängen, und wenn er jetzt an Qazai dachte, erkannte er hinter seinem Charme und seinem eleganten Auftreten jemanden, der entschlossen war, ihn ebenfalls zu hintergehen.
Als er nach Hause zurückkehrte, schliefen die anderen noch. Er duschte und rasierte sich, brachte Elsa eine Tasse Tee und kroch neben ihr ins Bett; noch nicht richtig wach, schmiegte sie sich mit dem Rücken in seine Arme. Im Zimmer war es kühl und dunkel, und vor dem offenen Fenster flatterte das Rollo, sodass hin und wieder ein Strahl der Morgensonne hineinfiel.
»Mein Gott, hast du kalte Hände.« Ihre Stimme klang schläfrig.
»Sind sie nicht. Du bist nur so warm.«
Ein, zwei Minuten lagen sie so da und atmeten im Takt.
»Noch keiner wach?«
»Nein. Nur wir beide.«
Elsa brummte. »Wie war das Schwimmen?«
»Schön. Wenig los.«
»Wann bist du aufgestanden?«
»Gegen sechs.«
»Es war früher.«
Webster sagte nichts.
»Was ist los?«
»Nichts.«
»Ben. Komm schon.«
»Alles okay.«
Sie drehte sich auf die andere Seite, mit dem Gesicht zu ihm, und stützte ihren Kopf auf eine Hand.
»Ich werde Ike sagen, dass ich es nicht mache.«
Sie antwortete nicht.
»Er ist für diesen Job sowieso besser geeignet.«
Nach einer Minute
Weitere Kostenlose Bücher