Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
Small Talk von Menschen, die einander kennen und sich in derselben Sphäre bewegen. Er schaute zu Ava und rutschte auf seinem Sessel herum. Eine der Stimmen war lauter als die anderen, voluminöser, voller Jovialität, und als die Gruppe Männer heraustrat, erschien der Mann zu der Stimme im Blickfeld und führte seine Gäste in seine Welt, als hätte er sie nie verlassen.
Webster beobachtete, wie Qazai den Empfangsbereich durchquerte. Er war einen Kopf größer als die anderen, adrett mit einem silbergrauen Anzug bekleidet, den silbernen Bart akkurat gestutzt, und Webster bezweifelte, dass sonst jemand die Anspannung in seinen müden Augen bemerkte. Als er im Gespräch mit den Amerikanern an ihnen vorbeiging, schaute er einmal kurz zu Ava und schien für einen winzigen Moment die Fassung zu verlieren, trotzdem geleitete er die Gruppe durch die Glastür zu ihrem Meeting.
Ava und Webster starrten einander wortlos an, wie zwei Leute, die nicht glauben konnten, was sie da gerade gesehen hatten.
Mit jeder Stunde, die verstrich, so vermutete Webster, wurde der Ausgang der Treffens gewisser, allerdings war das kein Grund, sich zu entspannen, genauso wenig wie Qazais unübersehbare Gelassenheit keineswegs garantierte, dass er, wenn der Moment gekommen war, einen Stift zücken, die Kappe abziehen und ein letztes Mal seinen Blick durch die Firma wandern lassen würde, die er aufgebaut hatte, und auf die erforderliche Linie seine eindrucksvolle, geschwungene Unterschrift setzte. Die Menschen taten seltsame Dinge, bevor sie sich von dem trennten, was sie liebten, und Webster dämmerte, dass Qazai, obwohl sein geschäftliches Genie in einer Art schonungsloser Schlussfolgerung bezüglich der Mechanismen der Wirklichkeit bestand, Logik nicht auf sein eigenes Leben anwandte. Er war unerschrocken und charakterlos zugleich; er liebte seine Kinder, und gleichzeitig vernachlässigte er ihre Erziehung; unbeirrbar erhob er seine Stimme gegen die Regierung in Teheran, und gleichzeitig hatte er keine Hemmungen, sie zu stützen. Doch hinter all den Widersprüchen, das vermutete Webster, steckte eine banale Angst: dass Darius Qazai letztlich doch kein bedeutender Mann, sondern ein gewöhnlicher Feigling war, der seine jämmerliche Treue zum Geld von seinem Vater geerbt und es nicht geschafft hatte, sie zu überwinden. Keiner verstand besser als er, welche Wege das Geld ging, und trotzdem wurde er von ihm kontrolliert.
Wer konnte schon sagen, wie ihn seine Angst heute beeinflusste? In diesem Zimmer hatte er andere Firmen aufgekauft, Investoren überzeugt, Mitarbeiter gefeuert, Händler zurechtgewiesen, Staatsmänner zu Gast gehabt. Tabriz war sein königlicher Hof, und jetzt verlangte man von ihm, ausgerechnet im Prunksaal, seine Firma zu überschreiben wie irgendeinen der unzähligen Posten, die er in den letzten dreißig Jahren ge- und verkauft hatte.
Als Webster zu Ava aufschaute, merkte er, dass sie jetzt das Geschehen hinter ihm beobachtete, und er drehte sich um und sah durch eine Glaswand die Amerikaner, die sich auf den Weg machten und die Schnappverschlüsse ihrer Aktentaschen schlossen, die Jacketts über den Schultern und die Krawatten gelockert. Soweit man das erkennen konnte, wirkten sie wie Leute, die ihr Ziel erreicht hatten. Der hauptverantwortliche von Qazais Anwälten begleitete sie nach draußen, und nachdem sie sich eine Minute lang verabschiedet hatten, bestiegen sie einen der Aufzüge, und fort waren sie.
»Wo ist mein Vater?« Ava hielt den Anwalt auf, als er an ihnen vorbeilief.
»Wie bitte?«
»Schon gut«, sagte sie und bat die Empfangsdame, die Glastür zu öffnen, dann marschierte sie hindurch. Webster folgte ihr, und der Anwalt wiederum folgte ihm.
Leere Gläser, leere Tassen, halb leere Teller mit Keksen und verchromte Kaffeekannen standen auf dem Tisch, an dem Qazai mit dem Rücken zum Fenster saß, während er dabei zusah, wie die Anwälte ihre Unterlagen zusammenräumten; ihre Glückwünsche hörte er offensichtlich nicht. Hinter ihm stand die Sonne immer noch hoch am Himmel.
»Lassen Sie uns bitte alleine«, sagte Ava beim Betreten des Zimmers.
Sämtliche Anwälte hielten inne und starrten sie an; keiner antwortete etwas.
»Ich muss mit meinem Vater sprechen.« Es gab keinen Zweifel, dass sie es ernst meinte. »Sie alle. Raus hier.«
Hinter ihr nickte der hauptverantwortliche Anwalt seinen Kollegen zu, worauf diese rasch den Raum verließen, während sie zu Ava blickten, die zwischen ihnen
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