Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
misstrauisch.
»Er ist gut«, sagte er, sobald der Sicherheitsmann den Flur, der aus der Eingangshalle zur Rückseite des Hauses führte, hinunter verschwunden war.
»Keine Frage. Ich möchte ihn nur nicht um mich haben.« Sie sah Webster vielsagend an, und er wusste, was sie meinte.
»Ich werde nicht lange hier sein.«
»Jetzt sind Sie ja hier. Tun Sie, was Sie tun müssen.«
»Ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
Eine Pause. »Wann darf ich Sie mal was fragen?« Er hielt ihrem Blick stand, und sie seufzte. »Schießen Sie los.«
»Was genau haben Sie zu ihm gesagt?«
»Alles. Und zu wenig.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Das ist nicht wichtig.«
»Alles ist wichtig. Was hat er geantwortet?«
»Keine Ahnung … Er hat sich wohl herausgeredet. Und gerechtfertigt. Ich konnte seinen Anblick nicht ertragen.«
»Hat er erwähnt, was er vorhat? Irgendwelche Meetings?«
»Nichts. Nur dass er das Geld zurückzahlen muss und alles verkauft. Ich glaube, er wollte, dass ich Verständnis dafür habe.« Sie klang eher verwundert als empört.
Webster nickte und ging durch die Diele auf Qazais Arbeitszimmer zu und drehte sich um, als er es erreicht hatte und Avas Stimme hörte.
»Er schließt es immer ab.«
Webster drückte die Klinke hinunter.
»Wer hat den Schlüssel?«
»Er.«
»Was ist mit der Haushälterin?«
»Nicht für dieses Zimmer. Er hat ihn bei sich. Wir durften das Zimmer nie betreten. Als wir noch Kinder waren, hat er uns erzählt, dass alle Gegenstände im Zimmer unter Strom stünden.«
Webster trat einen Schritt zurück, stellte sich richtig hin und trat direkt unterhalb der Klinke gegen die Tür, worauf das stille Haus von einem ohrenbetäubenden Krachen erschüttert wurde. Während er das Gleichgewicht hielt, trat er erneut zu, diesmal stärker, und der plötzliche Kraftausbruch erfüllte ihn mit Befriedigung. Beim dritten Tritt splitterte das Holz um das Schloss herum; beim vierten gab es ganz nach, die Tür schwang auf. Ava sah mit ausdruckslosem Gesicht dabei zu und sagte keinen Ton. Als sie das Zimmer betraten, kam der Sicherheitsmann mit schweren Schritten und professionell beunruhigtem Gesichtsausdruck die Diele heruntergerannt.
»Mir geht’s immer noch gut«, sagte Ava, »gehen Sie bitte«, und ließ ihn verwirrt dastehen.
Auf dem Schreibtisch, fein säuberlich gestapelt, lagen verschiedene Papiere: Verkaufsdokumente, Ausdrucke von Tabriz-Mails, die üblichen Korrespondenzen. Nichts von Interesse. Rechts von Qazais Stuhl, auf einem Tischchen, stand ein schnurloses Telefon: Webster hob es ab und notierte sich die letzten Nummern, die gewählt worden waren – alle in Großbritannien, die allerletzte war die eines Handys. Er rief Oliver an.
»Ich hab hier eine Nummer für dich. Es eilt.«
»Morgen, Ben. Wie geht’s dir?«
»Es eilt wirklich, Dean. Es ist wichtig.«
»Wie wichtig, Ben? Ist es wichtiger als all die anderen wichtigen Dinge, die ich für dich tun soll?«
»Tut mir leid. Aber ich brauche es sofort. Ich muss wissen, wem das Handy gehört. Das ist alles. In fünf Minuten.«
»Zehn.« Dean klang resigniert.
»Danke. Ruf mich an.«
»Gibt es momentan irgendjemanden, der Sie mag?«, fragte Ava.
Webster hob den Kopf und brachte ein finsteres Grinsen zustande. »Mein Vater«, sagte er und bedauerte sogleich seine Taktlosigkeit. »Tut mir leid.« Ava schaute bloß zur Seite.
Der Schreibtisch war aus edlem Holz und hatte zwei flache Schubladen. Beide waren abgeschlossen, und nachdem er die Schlüssellöcher einen Moment untersucht hatte, griff er nach einem Brieföffner aus Messing, der neben einigen geöffneten Briefen lag, und schob ihn über dem Schloss in den schmalen Spalt oberhalb der Schublade.
Ava warf ihm einen düsteren Blick zu. »Was machen Sie da?«
»Ich werde testen, wie stabil das Schloss ist«, sagte Webster, stand auf und wollte die Schublade aus demSchreibtisch hebeln, zunächst mit gleichmäßigen Bewegungen, aber dann zerrte er kräftig daran, ging in die Hocke und umklammerte den Brieföffner in seiner Faust noch fester.
»Lernt man bei euch nicht, wie man so was elegant macht?«, fragte Ava, als das Holz, in dem der Riegel des Schlosses steckte, mit einem Knacken nachgab. In der Schublade befanden sich zwei Pappordner, beide voller Firmenkorrespondenzen, die bedeutungslos waren. Also versuchte Webster, die zweite zu öffnen, und diesmal ging es leichter. Auf einem Sammelsurium aus Stiften und Briefpapier lag ein großer brauner
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