Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
wetten.«
Sie nahm einen tiefen Zug und hustete. »Mein Gott, sind die stark.«
»Tut mir leid.«
Sie warf die halb gerauchte Zigarette auf den Rasen und trat sie mit ihrem Zeh aus. Hinter ihnen in einem der Zimmer im Erdgeschoss gingen die Lichter aus, sodass es auf der Terrasse jetzt noch dunkler war.
»Können Sie ihm geben, was er will?« Während sie das sagte, rutschte sie an den Rand der Bank und wandte sich zu ihm hin.
»Das kann ich noch nicht sagen.«
Sie zögerte. »Was haben Sie herausgefunden?«
»Darf ich niemandem erzählen.«
Sie nickte versonnen. Und blickte ihm im Halbdunkel eindringlich in die Augen. »Etwas Schlimmes?«
»Nicht auf den ersten Blick.«
»Sie glauben also, dass es da irgendwas gibt?«
»Das habe ich nicht gesagt. Glauben Sie das?«
»Nein. Natürlich nicht.« Sie schüttelte unmerklich den Kopf und starrte auf die Hände in ihrem Schoß. »Es ist nur so … Er braucht diesen Bericht. Er braucht Sie.«
»Ach ja?« Bisher war Webster kaum aufgefallen, dass Qazai auf ihn angewiesen war.
»Er ist kein eitler Mann. Er ist nicht das, wofür Sie ihn halten. Er ist ein Pragmatiker. Durch und durch. Alles, was er tut, dient dem Profit oder der Einflussnahme. Sie sind hier, weil er Sie braucht.«
»Warum?«
»Keine Ahnung. Ich dachte, das hätten Sie vielleicht inzwischen herausgefunden.«
»Und wenn?« Webster wusste nicht, ob Ava hergekommen war, um ihm auf den Zahn zu fühlen oder um ihn zu warnen. Oder um ein bisschen Trost zu suchen.
»Dann würden Sie es mir nicht erzählen.«
»Weil ich nicht darf.«
Sie nickte bedächtig, richtete sich auf und sammelte ihre Gedanken. Webster dachte schon, sie würde gleich gehen, stattdessen wandte sie sich ihm zu.
»Mein Vater ist ein sehr arroganter Mann. Er hält sich für den Größten. In den Bereichen, die ihm etwas bedeuten. So einfach ist das. Der beste Händler, der beste Geschäftsmann, der beste Sammler. Ich habe bisher nicht erlebt, dass er je auf jemand anders angewiesen gewesen wäre. Und dann – erst Yves und jetzt Sie, hier, an diesem Ort.« Sie schüttelte den Kopf. »Früher hätte er jemanden wie Sie hier nicht empfangen. An diesem besonderen Ort musste das Geschäft draußen bleiben.«
Ihre ruhige Stimme klang jetzt zittrig, und Webster meinte, dicht unter der Oberfläche ungekannte Ängste zu erahnen.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich wollte nicht unhöflich sein.«
»Gibt es sonst noch was?«
»Nein. Ich mache mir nur Sorgen um ihn.«
»Machen Sie sich auch Sorgen um Parviz?«
Sie biss sich auf die Unterlippe, sagte jedoch nichts.
»Alles, was Sie mir erzählen, kann ich für mich behalten. Ich bin kein Polizeibeamter.«
Sie schüttelte den Kopf, unvermittelt und energisch, und stand dann auf. Als sie zu ihm hinunterschaute, waren ihre Gesichtszüge wieder erstarrt, das Zutrauen daraus gewichen. »Nichts von dem, was ich weiß, wäre nützlich für Sie. Gute Nacht, Mr. Webster. Seien Sie vorsichtig.«
Kopfschüttelnd sah Webster ihr nach, während sie durch einen von Scheinwerfern beleuchteten Rasenstreifen zum Haus zurückging; was hätte er darum gegeben, wenn Elsa dieses Gespräch gehört hätte. Vielleicht hätte sie sich einen Reim darauf machen können. Vielleicht hätte sie gewusst, ob Ava unbedingt etwas loswerden wollte, oder ob sie Angst hatte, dass ihr aus Versehen etwas herausrutschte.
11
Zu wissen, dass er hier ins Haus eigentlich nicht hergehörte, machte den Rest von Websters kurzem Aufenthalt zu einer leicht delikaten Angelegenheit. Sollte er sich darüber freuen oder ärgern, dass das Zimmer, das man ihm gegeben hatte, in Wirklichkeit für wichtige Freunde bestimmt war, für Diplomaten, schillernde Unternehmer, die Regierungschefs kleinerer Staaten, Würdenträger der iranischen Diaspora – und nicht für englische Detektive, die auf Stundenbasis arbeiteten und ihre Zeit damit verbrachten, die Nase in die Sachen andere Leute zu stecken? Doch unter all den Hinweisen und Andeutungen, die Ava ihm gestern Abend geliefert hatte, ob absichtlich oder nicht, war eins bemerkenswert: Seit ihrer ersten Begegnung hatte er angenommen, dass Qazai seine Arbeit zwar für notwendig hielt, aber nicht für entscheidend – für wichtig, aber nicht für fundamental –, und je mehr ihm bewusst wurde, dass sie aus irgendeinen Grund unverzichtbar war, desto mehr erschien der ganze Fall in einem anderen Licht. Webster war mit dem Gefühl schlafen gegangen, dass sich die vielen widersprüchlichen
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