Die Kunst des Sterbens: Thriller (German Edition)
man nicht versucht, ihn zu bestechen. Er fragte sich, wie viel er wohl wert war.
Wenn er darauf einging, würde er es erfahren, und die nachweisliche Zahlung von Bestechungsgeldern würde reichen, um den Fall abzugeben und dieses unheilvolle Paar seinen Problemen zu überlassen. Aber er war zu wütend für irgendwelche Spielchen, und merkwürdigerweise ärgerte ihn die Vorstellung, bestechlich zu sein, obwohl er wusste, dass er es nicht war und dass es nicht geschehen würde. Außerdem hatte er keine Lust, die Sache jetzt schon zu beenden. Nicht wenn er kurz davor war, Recht zu bekommen.
»Ich weiß, was ich gehört habe«, sagte er schließlich. »Sie haben uns wegen unserer Integrität engagiert. Und die sollen Sie kriegen.«
Falls Senechal die Andeutung einer Drohung bemerkte, ließ er es sich nicht anmerken. Er nahm die Serviette von seinem Schoß, faltete sie säuberlich zweimal zusammen und legte sie auf den Tisch.
»Freut mich zu hören.« Er stand auf. »Danke, Mr. Webster. Ich erwarte Ihren Bericht.« Mit diesen Worten griff er sich das Dokument und verschwand, glitt mit seinen federnden, gleichmäßigen Schritten durch den Flur.
Im Flughafen Mailand-Linate wartete Webster in einer einzelnen gewundenen Schlange, um sich seiner Schuhe und seines Gürtels zu entledigen und seinen Koffer durchleuchten zu lassen, während er nebenher seine Mitreisenden mit ihrer ausgeklügelten Reiseausrüstung betrachtete: den Koffer folgsam bei Fuß, das Laptop dicht am Körper, die Schuhe so gewählt, dass sie sich mühelos ausziehen ließen. Wie alle anderen überprüfte er mit geneigtem Kopf planlos sein BlackBerry.
Er hätte den Zug nehmen sollen. Den Nachtzug nach Paris, die ganze Strecke bei geöffnetem Fenster, in seinem eigenen Abteil, in seinem eigenen Tempo; mit Abendessen im Speisewagen und einer Zigarette am offenen Fenster irgendwo bei Lyon. Wenn er ehrlich war, dann fand er diese sentimentale Vorstellung nur deshalb attraktiv, weil er sich so der Illusion hingeben konnte, dass sein Leben ihm gehörte.
Als er seine Schnürsenkel öffnete und seinen Gürtel löste, dachte er über das Frühstücksgespräch nach. Hätte Senechal diesen Vorschlag, in seinem kaum hörbaren Flüsterton, auch jedem anderen unterbreitet? Oder wirkte Webster wie jemand, der für Schmiergeld empfänglich war? Machte er einen zwielichtigen, willfährigen Eindruck? Hätte Senechal das Angebot zum Beispiel auch Hammer gemacht? Oder hatte er das bereits?
Er verjagte den Gedanken aus seinem Kopf. Niemand würde versuchen, Ike zu bestechen. Man musste schon schwer von Begriff sein, um dessen leidenschaftliche Kompromisslosigkeit mit Gier zu verwechseln. Nein, das waren nicht die richtigen Fragen. Die entscheidende Frage lautete, ob er Ike erzählen sollte, was passiert war. Wenn er davon erfuhr, würde er den Auftrag abgeben, und dann hätte Webster mit diesen undurchsichtigen, widerlichen Menschen endlich nichts mehr zu tun – und könnte sich dem nächsten Klienten zuwenden, der vielleicht angenehmer war, vielleicht auch unangenehmer, aber wahrscheinlich nicht diese Mischung aus Arroganz und Gefahr verströmte wie die Qazais.
Ohne Beanstandung passierte er die Sicherheitsschleuse, nahm seine Sachen und seinen Koffer, trat zur Seite, um seine Schuhe und sein Jackett anzuziehen, und ging zur Schlange vor der Passkontrolle. Er wäre diese Leute gerne los, keine Frage, aber er war noch nicht mit ihnen fertig. Er sagte sich, dass er Ava und Timur und vor allem Parviz zuliebe nicht aufhören dürfe, bevor er herausgefunden habe, was den dunklen Kern von Qazai ausmache.
In seinem gläsernen Häuschen gab ihm der Einwanderungsbeamte ein Zeichen vorzutreten. Webster reichte ihm seinen alten Pass voller Stempel, dessen goldene Beschriftung auf der Vorderseite abgewetzt war, und sah dabei zu, wie der Beamte die letzten Seiten durchblätterte, etwas in seine Tastatur tippte, das Foto begutachtete, zu ihm aufschaute und dann auf seinen Computermonitor starrte. Er fragte sich jedes Mal, was wohl in seiner Akte stand, und wahrscheinlich wollte das jeder wissen: Er hatte russische Klienten, die ihm ständig damit in den Ohren lagen, für sie herauszufinden, warum sie sich auf ihren Reisen in den Westen jedes Mal einer Befragung unterziehen mussten – ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Beamte tippte erneut etwas, nahm den Telefonhörer, und während er redete, blätterte er den ganzen Pass durch, dann legte er auf.
»Warum sind Sie in
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