Die Kunst des Träumens
hatte nichts Besonderes getan - abgesehen von meinem festen Entschluß, mir bewußt zu machen, daß ich einschlief, um meine Hände zu finden. Und nun träumte mir. ich sei zu Besuch in meiner Heimatstadt.
Dabei war die Stadt, von der ich träumte, meiner Heimatstadt gar nicht ähnlich: aber irgendwie war ich überzeugt, daß dies die Stadt meiner Geburt sei. Es begann wie ein gewöhnlicher, wenn auch sehr lebhafter Traum. Dann veränderte sich das Licht im Traum. Die Bilder wurden schärfer. Die Straße, durch die ich ging, wurde viel wirklicher, als sie es eben noch gewesen war. Meine Füße schmerzten. Und ich spürte eine absurde Härte der Dinge im Traum. Wenn ich zum Beispiel gegen eine Tür stieß, empfand ich nicht nur den Schmerz im Knie, sondern auch Wut über meine Ungeschicklichkeit.
So spazierte ich ganz real durch diese Stadt, bis ich erschöpft war. Ich sah die Stadt, wie ein Tourist sie gesehen hätte, der durch ihre Straßen gelaufen wäre. Es gab keinen Unterschied zwischen diesem Traum-Spaziergang und einem Spaziergang, den ich in einer Stadt gemacht hätte, wo ich zum erstenmal zu Besuch wäre. »Ich glaube, diesmal bist zu weit gegangen«, sagte Don Juan, nachdem er sich meinen Bericht angehört hatte. »Du brauchtest nichts anderes zu tun. als dir des Einschlafens bewußt zu werden. Was du getan hast. war. als würdest du eine Wand umwerfen, nur um eine Mücke zu zerquetschen.«
»Glaubst du. Don Juan, ich habe die Sache verpatzt?«
»Nein, das nicht. Aber offenbar wolltest du eine frühere Erfahrung wiederholen. Damals, als ich deinen Montagepunkt verschob und wir beide in jener geheimnisvollen Stadt landeten, da schliefst du nicht. Du träumtest, aber nicht im Schlaf. Das bedeutet, daß dein Montagepunkt diese Position nicht durch einen normalen Traum erreicht hatte. Ich hatte ihn zu dieser Verlagerung gezwungen.
Natürlich kannst du diese Position auch beim Träumen erreichen, aber vorläufig empfehle ich es dir nicht.«
»Ist es so gefährlich?«
»Ja, sehr! Das Träumen muß eine ganz nüchterne Angelegenheit bleiben. Man darf sich keinen falschen Schritt leisten. Das Träumen ist ein Prozeß des Erwachens, der allmählichen Selbstkontrolle. Wir müssen unsere Traum-Aufmerksamkeit systematisch trainieren, denn sie ist die Pforte zur zweiten Aufmerksamkeit.«
»Welchen Unterschied gibt es zwischen Traum-Aufmerksamkeit und zweiter Aufmerksamkeit?«
»Die zweite Aufmerksamkeit ist wie ein Ozean, und die Traum- Aufmerksamkeit ist wie ein Fluß, der in diesen einmündet. Die zweite Aufmerksamkeit ist ein Zustand der Bewußtheit ganzer Welten, genauso absolut, wie deine Welt absolut ist; während die Traum-Aufmerksamkeit ein Zustand ist, in dem uns die Gegenstände unserer Träume bewußt werden.«
Sehr nachdrücklich betonte er, daß die Traum-Aufmerksamkeit der Schlüssel zu jedem Schritt in der Welt der Zauberer sei. Unter der Vielzahl von Gegenständen in unseren Träumen, sagte er, gebe es reale energetische Interferenzen - Dinge also, die durch fremde Kräfte von außen in unsere Träume eingeführt werden. Diese aufzufinden und zu verfolgen, darin bestehe die Zauberei.
Er legte so viel Nachdruck auf diese Feststellungen, daß ich ihn bat, sie mir genauer zu erklären. Er zögerte eine Weile, bevor er antwortete.
»Die Träume sind zwar nicht das Tor, aber das Schlupfloch zu anderen Welten«, begann er. »Ein Schlupfloch mit Zweibahnverkehr. Unser Bewusstsein schlüpft durch diese Lücke in andere Sphären, und jene anderen Sphären schicken Scouts in unsere Träume.«
»Was sind diese Scouts?«
»Energieladungen, die sich mit den Gegenständen unserer normalen Träume verbinden. Es sind Ausbrüche fremder Energie, die in unsere Träume eindringen, und wir interpretieren sie als Gegenstände, die uns manchmal vertraut, manchmal fremd sind.«
»Tut mir leid, Don Juan, aber ich kann mit deiner Erklärung nichts anfangen.«
»Du kannst es nicht, weil du darauf beharrst, dir Träume vorzustellen, wie du sie kennst: als etwas, das uns im Schlaf widerfährt. Ich aber will dir eine andere Vorstellung vermitteln: Träume als Schlupfloch in andere Sphären der Wahrnehmung. Durch dieses Schlupfloch sickern Ströme einer unbekannten Energie ein. Dann übernimmt unser Geist oder das Gehirn oder was immer, diese Energieströme und verwandelt sie in Bestandteile unserer Träume.« Er machte eine Pause, offenbar um mir Zeit zu lassen, verstandesmäßig aufzunehmen, was er gesagt hatte.
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