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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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die Korruption, die Lasterhaftigkeit und die Eitelkeit der Kirche, der Gesellschaft im Allgemeinen und der Familie Medici im Besonderen angriff, die Florenz weitgehend regierte. »Denkt gut nach, ihr Reichen«, donnerte er, »denn Leid wird über euch kommen. Diese Stadt wird nicht mehr Florenz sein, sondern eine Räuberhöhle, ein Ort der Verworfenheit und des Blutvergießens.« Er forderte seine Anhänger, bekannt als Wimmerer, auf, in die Häuser der Reichen zu gehen, deren Werke von Dante und Petrarca, ihre Gemälde nackter Frauen, ihre Seife, Seidenstoffe, Spiegel, Schachbretter, Harfen und Schmuckstücke mitzunehmen, auf dem Platz der Stadt aufzustapeln und dann zu verbrennen. Solche symbolischen Attacken auf den Luxus wurden Fegefeuer der Eitelkeiten genannt. Doch das Volk änderte seine Meinung sehr bald, und am 23. Mai 1498 wurde Savonarola wegen Ketzerei verurteilt, aufgehängt und dann an derselben Stelle auf der Piazza della Signoria verbrannt, wo er seine Fegefeuer abgehalten hatte.
    Savonarola war erfolgreich gewesen, weil er den Groll der Bevölkerung manipuliert hatte. Das Gleiche galt für die Reformation. Calvin, Luther und die Anhänger von John Wesley schwatzten über korrupte Priester und das Luxusleben der Geistlichkeit, um das Volk auf ihre Seite zu ziehen. Wie bei Chaucer nachzulesen ist, hat sich der Hass auf die Kleriker – weil sie faul und aufgeblasen seien, von der Arbeit des Volkes profitierten, Ablassbriefe verkauften und so fort – im vierzehnten Jahrhundert in Europa weit verbreitet. Diese Schwachstelle im System gestattete den Malvolios, die Macht zu übernehmen. Eine neue meritokratische, bourgeoise Elite löste die alte Führungsschicht der Aristokraten und des Klerus ab, doch wie Bertrand Russell, Chesterton und viele andere ausführen, waren die neuen Puritaner in Wirklichkeit noch brutaler und ausbeuterischer als ihre Vorgänger.
    Groll führt also direkt zur Selbstgefälligkeit. Wer nicht von Groll erfüllt ist, dürfte andere nicht um ihre Reichtümer beneiden. In diesem Sinne sind Revolutionen von puritanischem Geist erfüllt. In Orwells Farm der Tiere schüren die Schweine den Groll der Tiere auf die Menschen: Warum sollt ihr schuften, damit sie im Luxus leben? Am Ende sind Schweine und Menschen, wie wir alle wissen, nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Eine Tyrannei hat die andere ersetzt. Puritaner sind schlicht eifersüchtig.
    Heute haben Konsumartikel und das Stellensystem den Platz der Puritaner übernommen. Sie versprechen, den Benutzer »aufzumotzen«, wie man im gängigen Jargon sagen könnte. Ein großes Auto ist ein Zeichen dafür, dass man etwas wert ist, ein Beweis für Gottes Gunst. Auch das Stellensystem mit seiner starren Hierarchie fördert die Selbstgefälligkeit. Nein, du bist nicht bloß ein Staubkörnchen, ein Nichts, sondern Filialleiter! Du bist Produktmanager! Du bist jemand!
    Das alte aristokratische System der Ränge und Titel ist einem bourgeoisen System der Beförderung und Selbstbeförderung gewichen. Wer glaubt, wir lebten in einem nichthierarchischen Zeitalter, hat noch nie in einem Büro gearbeitet. Dort und an allen sonstigen Arbeitsplätzen blüht die Hierarchie. In wie vielen Marketingkonferenzen habe ich gesessen, wo die Anwesenden aufrichtig meinten, etwas Wichtiges zu tun! Wahnsinn! Wie Bertrand Russell klug bemerkt, ist es wahrscheinlich, dass dieser Wahnsinn, diese fälschliche Annahme, wir seien unentbehrlich, zum Nervenzusammenbruch führt.
    Auch Handys lassen den Benutzer wie einen Jemand aussehen. Sie erzeugen Selbstherrlichkeit, darin liegt ihr Genie. Am Anfang befanden sie sich nur im Besitz von reichen und sehr beschäftigten Menschen. Allmählich beschlossen wir alle, wir seien wichtig genug, um ein Handy zu haben, obwohl wir eine Ewigkeit ohne solche Geräte ausgekommen waren. Inzwischen sind wir an diese absurden und teuren Nichtigkeiten gefesselt.
    Aber wir wollen uns nicht an Savonarolas Einstellung orientieren und unsere Telefone verbrennen. Dadurch würden wir selbst zum Feind werden. Wer Führern folgt, wird stets enttäuscht. Ihre Versprechen sind leer, sie sind teuflische, verkappte Verschwender, die einfach nur ganz oben am Tisch sitzen wollen. Viel vernünftiger ist es, den anarchistischen Gedanken, dass es keine Autorität außer dir selbst gibt, aufzugreifen und, mit den Worten Kropotkins, »selbständig zu handeln«; zu essen, zu trinken und fröhlich zu sein.
    Selbstgefälligkeit ist verfänglich, denn

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