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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Müßiggang reden.« Dann erwidere ich, dass ich über kein Privatvermögen verfüge und nie eines hatte und dass ich sämtliches Geld, von dem ich lebe, durch meine eigenen Bemühungen auf dem Markt verdiene.
    Aber lässt sich damit wirklich prahlen? Warum sollten wir die Gedanken eines Menschen missachten, nur weil er ein Privatvermögen hat? Viele große intellektuelle Durchbrüche und Ideen, zahlreiche Beiträge zu Kunst und Literatur kommen von Angehörigen der Ober- und Mittelschicht: Lord Byron, Marx und Engels, William Morris, Bertrand Russell, um nur einige zu nennen. Der Groll auf andere – »Du hast gut reden« – muss als erste Fessel auf der Suche nach Freiheit abgeworfen werden.
    Obwohl ich ein Feind der Unterdrückung und der Ausbeutung bin, liegt mir nichts ferner, als alle Klassenschranken beseitigen zu wollen. Dann bleibt nämlich nur eine furchtbare protestantische Meritokratie übrig wie in den Vereinigten Staaten, wo niemand eine Entschuldigung hat, wenn er nicht zum Herrn des Universums wird – ein Zustand, den Tom Wolfe so trefflich in Jahrmarkt der Eitelkeiten geschildert hat. Im Grunde ist Gleichheit Unsinn. Wo alle gleich sind und Chancengleichheit für alle besteht, ist das Scheitern nicht zu rechtfertigen. Ein Klassensystem liefert automatisch eine Erklärung dafür – wenn man sie denn braucht –, warum jemand nicht arbeitet, sondern schlicht das Leben genießt. Und wenn dir deine Klasse nicht gefällt, dann setz dich in Bewegung. Bekanntermaßen brachte es ein Bauer bis zum Papst. Und einer anderen Klasse anzugehören bedeutet nicht, weniger wert zu sein. Ich habe nichts dagegen, mich in meiner Klassenherkunft von anderen zu unterscheiden, doch ich fühle mich der Oberschicht nicht unterlegen und der Arbeiterschaft nicht überlegen.
    Übrigens kannst du dich deiner Klassenherkunft mühelos entziehen, indem du einfach die üblichen Konventionen zurückweist und deine eigene Welt erschaffst. Auf diese Weise findest du Gleichgesinnte, die geistig und nicht durch ihre Klassenzugehörigkeit mit dir verbunden sind. Es gibt keine Entschuldigung dafür, herumzusitzen und mit seinem Schicksal zu hadern. Ja, es mag stimmen, dass man dir und den Deinen schreckliche Ungerechtigkeiten zugefügt hat, aber du zerbrichst die Fesseln jener Ungerechtigkeiten nicht dadurch, dass du dich über frühere Verstöße beklagst, sondern indem du dich über die Sache erhebst und dich auf das gute Leben konzentrierst. Die Boheme kann einen Ausweg aus der Verengung bieten, die uns durch unsere Herkunft aus der Arbeiterschaft, dem Mittelstand oder der Oberschicht auferlegt wird, denn jede Klasse schränkt, wie man argumentieren könnte, unsere Freiheiten auf ihre Weise ein. In den Kreisen der Boheme dagegen finden sich Lords und Räuber ebenso wie Trunkenbolde, Dichter oder Musiker – Menschen, die sich von ihren Fesseln befreit haben.
    Das Problem besteht nicht in den Unterschieden zwischen den Menschen, sondern darin, dass sie die Unterschiede nicht respektieren. Das ist die Schwierigkeit mit Regierungen, die behaupten, eine klassenlose Gesellschaft einzuführen: In Wirklichkeit meinen sie eine Gesellschaft, in der wir alle gleich sind – Roboter, Arbeitsdroiden, Automaten wie Charlie Chaplin in Moderne Zeiten. Es ist eine Gesellschaft, die nach ihrem eigenen öden, mutlosen Bild geschmiedet ist.
    Klassenunterschiede verleihen unserem Leben Farbe. Die Ritter und Krieger und Bischöfe haben zu unserem Entzücken überall auf der Welt großartige Werke hinterlassen: Schlösser, Gärten, Kirchen. Kinder scheinen eine natürliche Vorliebe für Könige und Königinnen und Geschichten über die Ritter aus alter Zeit zu haben. König Arthur war Aristokrat, kein sowjetischer Bürokrat. Die Monarchie kann Spaß machen. Im siebzehnten Jahrhundert skizzierte Robert Burton in der brillanten, weitschweifigen Selbsthilfeanleitung Anatomie der Melancholie seine persönliche Utopie: Auch er hätte Klassenunterschiede deshalb beibehalten, weil sie das Leben vergnüglicher, abwechslungsreicher und bunter machen. Er griff Platons Staat als langweilig an:
    Platons Staat ist in vielerlei Hinsicht gottlos, absurd und lächerlich und entbehrt allen Glanzes und aller Prachtentfaltung. Ich werde also mehrere Adelsränge einführen, wobei jeweils der älteste Sohn den Titel erbt, aber auch für seine jüngeren Brüder Vorsorge treffen, denn sie sollen mit ausreichenden Renten ausgestattet oder in einem ehrbaren Beruf ausgebildet

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