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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Existenzialisten hatten eine nützliche Einstellung zur Begierde. Für Sartre ist sie nicht etwas, von dem man sich befreien kann, sondern viel mehr etwas, das man akzeptiert, ohne ihm unbedingt nachzugeben. Das kann besonders für sexuelle Begierde gelten. »Nehmen wir an, eine ungeheuer begehrenswerte Frau erscheint in deinem Leben«, sagte Penny Rimbaud. »Wenn du deinem Verlangen nachgibst, läufst du Gefahr, dein Familienleben völlig zu ruinieren. Deshalb gibst du ihm nach und akzeptierst es, aber nur im Geist …« In der existenziellen Welt lädst du die Begierde zu dir ein, sprichst mit ihr, lässt dich durch ihre Gegenwart unterhalten und bläst dann, wenn sie fortgeht, die Kerze aus und legst dich ins Bett. Um also von ihr frei zu sein und nicht von ihr überwältigt zu werden, musst du sie zunächst anerkennen und darfst nicht so tun, als existiere sie nicht. Vor einiger Zeit hatte ich den absurden Traum, mir einen Landrover zu kaufen, der für mich ohne jeden praktischen Nutzen wäre. Das Aussehen dieser Fahrzeuge gefällt mir einfach. Ich probierte eines aus, und ungefähr zwei Wochen lang hatte ich das Gefühl, wirklich einen Landrover zu besitzen. Dann ließ die Begierde nach – mit dem glücklichen Resultat, dass ich das Geld, das ich nicht hatte, nicht für eine weitere Belastung ausgab.
    Gut, so viel zum Einkaufen. Wenn du das nächste Mal glaubst, dass du deiner Freiheit durch Einkaufen und die Wahl zwischen Marken Ausdruck geben kannst, dann denk an jene Zombie-Filme, in denen die lebenden Toten stumm in Geschäfte gehen und die Rolltreppen hoch- und runterfahren. Welch Visionäre diese Regisseure waren! Fernsehen macht uns zu Zombies. Hier ist der erste Schritt: Zieh den Fernsehstecker heraus. Hinter dem Wunsch einzukaufen verbirgt sich Furcht, und nun wollen wir uns damit beschäftigen, wie sich diese spezielle Gefahr für unsere Freiheit überwinden lässt.
    WIRF DEN FERNSEHER WEG

11
    Spreng die Ketten der Furcht
    Es gibt eine bezaubernde Geschichte von Tschechow über
einen Mann, der versuchte, einem Kätzchen das Mäusefangen
beizubringen. Als es nicht hinter den Mäusen herrannte,
verprügelte er es, was dazu führte, dass es sich sogar als
erwachsene Katze in Gegenwart einer Maus vor Entsetzen
krümmte. »Das ist der Mann«, fügte Tschechow hinzu,
»der mir Lateinunterricht gegeben hat.«
Bertrand Russell,
»Freedom versus Authority in Education«, 1928
    Ich begab mich zum Garten der Liebe
Und sah, was noch nie ich gesehn:
Eine Kirche gebaut in der Mitte,
Wo ich pflegte zum Spielen zu gehn.
Und die Pforte der Kirch’ war verschlossen
Und »Du sollst nicht« graviert überm Tor.
William Blake, »Der Garten der Liebe«, 1793
    Ich wohne am Ende der Welt in der Nähe des Meeres, deshalb fahre ich auf den schmalen Straßen der Gegend an vielen Touristen vorbei. Wenn ich an einer Ausweichstelle anhalte, um sie vorbeizulassen, schaue ich immer hinüber, um zu sehen, ob sie mir zum Dank zuwinken. Was mir an diesen Touristen auffällt, die ausschließlich mittleren Alters oder alt, weiß und bürgerlich sind, ist ihre Furcht. In den meisten Fällen vermeiden sie den Augenkontakt, packen das Lenkrad und starren vor sich hin auf die Straße.Sie sind nicht bewusst unhöflich, doch sie scheinen Angst vor dem Leben zu haben, weshalb sie nicht aufblicken und lächeln oder winken. Bei Picknicks stellen sie Plastikstühle direkt neben dem Kofferraum ihres Autos auf, weil sie zu verängstigt sind, um sich ein paar Schritte von ihrem motorisierten Sicherheitsraum zu entfernen. Nervös wie kleine Kaninchen bewegen sie sich von einer Schutzzone zur anderen. Die Landgebiete dienen nun lediglich dazu, verschreckten Vorstadtbewohnern einen hübschen Anblick zu bieten.
    Wie viel vergnüglicher das Leben gewesen sein muss, als wir uns auf Pferden fortbewegten, mit Fremden plauderten, uns auf Pforten lehnten, über Zäune sprangen, vor Freude Lieder anstimmten, eins mit der Natur, ihren Tieren und ihrem Wetter waren. Thomas Hardy sehnte sich nach den alten Sitten aus Zeiten, als der Mensch noch nicht eingeschüchtert und unterwürfig war. In Die Heimkehr klagte er darüber, dass eine neue, besorgte Miene zur Norm geworden sei: »Die Auffassung vom Leben als etwas, das einem auferlegt ist, welche diejenige früherer Zivilisationen mit ihrem Lebenshunger ersetzte, wird am Ende derart vollständig in das Bewusstsein der modernen Geschlechter eindringen, dass der Gesichtsausdruck dieser Lebensanschauung als ein

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