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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Furchtsames in unserer Brust? Eine Quelle der Furcht ist gewiss das Erziehungssystem. Kleine Kinder sind furchtlose, gebieterische Anarchisten, aber das Erziehungssystem setzt ihnen jahrelang zu, um sie gefügig zu machen, so dass sie sich nicht mehr sonderlich beklagen, wenn sie schließlich an einem langweiligen Arbeitsplatz landen. Erziehung lässt sich mit dem Beschneiden von Bäumen vergleichen: Es ruiniert das natürliche Wachstum zugunsten einer Gestalt, die der Kommerzgesellschaft nützt. Die Massenerziehung wurde in der spätviktorianischen Epoche entwickelt, als man dringend Büroangestellte in der neuen, sich ausweitenden Welt des Versicherungs- und Bankwesens benötigte – in der Welt, die Tony Hancock in dem Film The Rebel bewohnte. Heute verlangt das »Ding«, wie Cobbett es nannte, oder die »Genossenschaft«, wie Ken Kesey es bezeichnete, uns zumindest die Fähigkeit ab, unsere PIN-Nummer in eine Maschine zu tippen, und dafür benötigen wir ein gewisses Bildungsniveau. Also lehrt man uns, zu tippen, mit einer Maus zu klicken und im Supermarkt einzukaufen, nicht jedoch, wie wir unser Leben freudig und furchtlos führen können.
    Das vielleicht größte Hindernis auf dem Weg zur Freiheit ist unsere eigene Angst vor der Freiheit. Vielleicht erinnerst du dich an die großartige Szene in Einer flog über das Kuckucksnest, in der McMurphy plötzlich begreift, dass die Hälfte der Insassen freiwillig auf der Station ist:
    »Haltet ihr Burschen mich zum Narren?«
    Keiner macht den Mund auf. McMurphy geht vor der Bank auf und ab und fährt sich dauernd mit der Hand durch das dichte Haar. Er geht die Reihe entlang, bis ganz nach hinten, und dann wieder ganz nach vorne, zum Röntgenapparat. Der zischt und spuckt nach ihm.
    »Du, Billy – du musst doch eingewiesen sein, Herrgott noch mal!«
    Billy steht mit dem Rücken zu uns, das Kinn oben auf der schwarzen Scheibe, er steht auf Zehenspitzen. »Nein«, sagt er in die Maschine.
    »Dann frag ich mich aber, wieso? Wieso? Du bist doch noch ein junger Kerl, du müsstest doch draußen sein, mit einem Cabrio durch die Gegend fahren und den Mädchen nachstellen. All das hier« – er macht wieder eine ausladende Handbewegung – »warum machst du das mit?«
    Billy gibt keine Antwort, und McMurphy wendet sich von ihm ab und dreht sich ein paar der anderen zu.
    »Sagt mir, wieso. Ihr meckert, ihr beklagt euch wochenlang über diesen ganzen Laden hier, über die Schwester und alles, was sie tut, und dabei seid ihr nicht mal eingewiesen. Bei einigen dieser alten Kameraden auf der Station kann ich es ja noch verstehen. Die sind übergeschnappt.
    Aber ihr, ihr seid zwar nicht genau wie der Durchschnittsbürger draußen, aber ihr seid doch nicht übergeschnappt.«
    Sie streiten sich nicht mit ihm. Er wendet sich jetzt Sefelt zu.
    »Sefelt, wie steht’s mit dir? Dir fehlt überhaupt nichts, du hast nur diese Anfälle. Zum Kuckuck, ich hatte einen Onkel, der hatte Anfälle, die waren zweimal so schlimm wie deine, und dabei sah er den Leibhaftigen in Person, aber er ließ sich deswegen doch nicht in die Klapsmühle stecken. Du könntest gut draußen leben, wenn du nur den Mut hättest –«
    »Sicher!« Es ist Billy, der sich umgedreht hat und dem die Tränen im Gesicht kochen. »Sicher!«, schreit er wieder. »Wenn wir den Mu-mu-mut hätten! Ich könnte heute r-r-raus, wenn ich den Mut hätte. Meine M-m-mutter ist eine gute Freundin von M-miss Ratched, und ich könnte heute noch ein AMA unterschrieben bekommen, wenn ich den Mut hätte!«
    Wir alle sind verängstigte kleine Billy Bibbits und Hardings und Sefelts, zurückgezogen, durch eigene Schuld eingekerkert, voll von endlosen Beschwerden über alles Mögliche, aber zu eingeschüchtert, um etwas zu unternehmen. Wir sind, mit dem Songtext der Suicidal Tendencies, jener musikalischen Genies, »institutionalisiert«. Und Institutionen sind eine der schlimmsten Erfindungen der letzten 250 Jahre. Der Verrückte ist nicht mehr Teil des Dorfes, sondern sitzt in der Anstalt.
    Wir haben unsere eigenen Flügel beschnitten. Wir wettern über die Schule, wie John Lennon in dem Song »Working Class Hero«, in dem er dem Erziehungssystem zu Recht vorwirft, dass es uns nichts als Furcht einflöße, um uns zu ängstlichen kleinen Arbeitssklaven zu machen, die den Kopf nicht aus der Deckung zu heben wagen. Das könnte übrigens – sosehr ich den Krieg auch hasse – der Grund dafür sein, dass Soldaten oft höhere Qualitäten haben als

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