Die Kunst, frei zu sein
Fernsehreklame hervorgerufenen Erwartungen nicht gerecht wurde. Doch die Tatsache, dass Dinge enttäuschend sind, bringt uns nicht dazu, sie aufzugeben, was ratsam wäre, sondern dazu, noch mehr Dinge in der Hoffnung zu kaufen, dass das »neue und bessere« Objekt uns nicht desillusioniert. So funktioniert der Kapitalismus: Durch einen unablässigen Strom aus Enttäuschungen, der uns veranlasst, mehr und mehr Geld auszugeben.
Wenn Victoria mir eine puritanische Haltung vorwirft, entgegne ich, es sei nicht verdienstvoll oder ein Zeichen von Selbstaufopferung, das Verlangen nach Dingen auszuschalten, sondern es sei der kühne Schritt eines freien Geistes. Es ist eine anarchistische Geste, denn das Verlangen nach Dingen sorgt dafür, dass sich die Räder der Sklavenmaschine drehen. Wenn ich kein großes Fernsehgerät haben will, dann ist niemand gezwungen, die Apparate für den Mindestlohn oder weniger mitten in der Nacht auf Lastwagen zu laden. Der Großkapitalismus braucht rastlose Roboter. Du bist ein Roboter am Tag, rastlos bei Nacht und am Wochenende. Je mehr von uns das Interesse an Dingen verlieren, desto weniger verzweifelt werden wir uns um einen Arbeitsplatz bemühen, und desto weniger Menschen werden zur Verfügung stehen, um die Lastwagen mitten in der Nacht für den Mindestlohn oder weniger zu beladen. Sobald du aufhörst einzukaufen, beginnst du zu leben und leistest keinen Beitrag mehr zu einem ausbeuterischen System.
Intellektuelle aller Couleur wissen seit den Anfängen der industriellen Revolution um das Problem des Verlangens. Eine der Schlüsselfiguren in der Geistesgeschichte des Anarchismus ist William Godwin, heute besser bekannt als Vater von Mary Shelley, die im Alter von siebzehn Jahren mit Percy Shelley durchbrannte und den Roman Frankenstein schrieb, während sie mit ein paar literarischen Freunden, darunter Lord Byron, einen ausschweifenden Urlaub in der Schweiz verbrachte. Godwin ist außerdem bekannt, weil er mit der großen Schriftstellerin Mary Wallstonecraft verheiratet war, der Autorin von Ein Plädoyer für die Rechte der Frau, die tragischerweise bei der Geburt von Mary Shelley starb. Godwin war ein ernster Mann ohne Humor, doch ein kluger und humaner Denker. Sein Hauptwerk, Über die politische Gerechtigkeit, erschien 1793, rund dreißig Jahre nach der Erfindung der Spinning Jenny, als wir uns dem neuen Konsumsystem bereits angenähert hatten. Seine Analyse der Manipulation des Verlangens durch die dominierenden Kräfte ist noch heute erstaunlich relevant. Was, fragt er, sind die guten Dinge auf der Welt und die Lebensbedürfnisse?
Unsere Lebensbedürfnisse sind längst bestimmt, und es ist dargelegt worden, dass sie aus Nahrung, Kleidung und Unterkunft bestehen. . . . Jeder Mensch ist, soweit der allgemeine Vorrat ausreicht, nicht nur zu den Mitteln zum Leben, sondern zum guten Leben berechtigt. Es ist ungerecht, wenn sich ein Mensch bis zum Ruin seiner Gesundheit oder seines Lebens abplackt, damit ein anderer in Luxus schwimmen kann. … Dieses Thema wird in noch auffälligeres Licht gerückt, wenn wir einen Augenblick über die Natur des Luxus nachdenken. Der Wohlstand eines Staates lässt sich verständlich genug als die Summe aller Einkünfte betrachten, die jährlich innerhalb dieses Staates verbraucht werden, ohne die Grundlagen eines gleichen Verbrauchs im folgenden Jahr zu zerstören. Wenn man dieses Einkommen als das betrachtet, als was es sich in fast allen Fällen erweist, nämlich als das Produkt des Fleißes der Einwohner, dann folgt daraus, dass in zivilisierten Ländern der Bauer oft nicht mehr als ein Zwanzigstel des Produkts seiner Arbeit verbraucht, während sein reicher Nachbar vielleicht das Produkt der Arbeit von zwanzig Bauern verbraucht.
Ja, wir sollten über die »Natur des Luxus« nachdenken. Schwer zu arbeiten, um nutzlose Gegenstände zu produzieren und diese dann zum einzigen Lebenszweck zu machen, das ist der Wahnsinn des Verlangens. Wenn du den Wunsch nach solchen Kinkerlitzchen unterdrücken kannst, brauchst du nicht mehr so schwer zu arbeiten und bist in erheblichem Maße freier als zuvor. Ganz zu schweigen von der brutalen Ausbeutung von Menschen zur Herstellung und zum Vertrieb dieser Kinkerlitzchen. Das ist ein weiterer Anreiz für uns, das Verlangen nach Mistkram, nach besseren Autos oder besseren Häusern, zu überwinden. Der Prozess des Aufstiegs und des Neides und des Verlangens wird in einer Simpsons -Episode elegant verspottet, in der
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