Die Kunst, frei zu sein
künstlerischer Neubeginn gewertet werden wird.«
Die Freiheit, die man erfährt, wenn man auf einem Pferderücken statt in einem Auto sitzt, ist offenkundig. Autos bilden einen Kokon. Das Pferd dagegen kann den Reiter, was für mich wichtig ist, träumen lassen, er sei ein mittelalterlicher Ritter. Obwohl ich beim Reiten ziemlich albern aussehe – ich trage einen Fahrradhelm und Gummistiefel und sitze auf einem rundlichen kleinen Pony, das an ein Arbeitspferd erinnert –, kann ich mir immer noch ausmalen, ich sei der Troubadour Thomas IX. de Martinhoe. Ich halte Ausschau nach meiner Dame und freue mich auf einen Abend mit Musik und Frohsinn in guter Gesellschaft, wo Schwäne, Trappen und Gewürzwein vor einem lodernden Feuer im nächsten Schloss aufgetischt werden…
Autos werden als Mischung aus Abenteuer und Sicherheit verkauft: einerseits ungezügelte Freiheit auf offener Straße, andererseits schoßähnliche Geborgenheit. Aber sie gehören zu den tödlichsten Gefahren des modernen Lebens und werden allein im Vereinigten Königreich alljährlich 3500 Menschen zum Verhängnis. Das sind zehn pro Tag, weitaus mehr Opfer, als auf das Konto von Drogen oder Terrorismus oder Aids oder Kriminalität gehen. Weltweit sind Verkehrsunfälle die neuntgrößte Todesursache (Kriege liegen an einundzwanzigster und Gewalt an siebzehnter Stelle). Die Dinge, an die wir uns klammern, um vor dem Leben geschützt zu werden, sind die wahrscheinlichsten Auslöser unseres Todes. Nach einer Reihe von Unfällen besaß ich vor einiger Zeit kein Auto mehr und ging die acht Kilometer in den nächstgelegenen Ort nunmehr zu Fuß. Welch ein faszinierendes Vergnügen das war und wie ungefährlich, wie beglückend, verglichen mit einem Auto, das voll von winzigen Schrecken ist. Heutzutage hält man es für normal, vier Stunden lang in einem Zustand der Anspannung und der Furcht dahinzurollen, aber das ist wahnsinnig.
Ebenso wie viele der anderen Probleme, die ich in diesem Buch erörtere, ist Furcht recht nützlich für das glatte Funktionieren einer geordneten Gesellschaft. Eine Bevölkerung, die vor der Obrigkeit in ihrer unterschiedlichen Gestalt – seien es Supermärkte, Banken, Schulen oder Chefs – und vor anderen Menschen Angst hat, ist gefügiger. Wenn du verängstigt bist, wirst du vermutlich nicht rebellieren, sondern schwer arbeiten und eine Menge Geld ausgeben. Die Furcht veranlasst uns, das Leben zu beobachten, statt es zu führen. Wir sind keine Teilnehmer, sondern Zuschauer. Die Menschen würden sich lieber eine Seifenoper ansehen, als in einer zu leben. Wenn man im realen Leben auf eine muntere Gemeinschaft stößt, hört man manchmal den Ausruf: »Hier ist es ja wie in einer Seifenoper!« Dabei vergisst der Sprecher, dass Seifenopern lebensnah sein sollen (nur dass sich niemand in einer Seifenoper je eine Seifenoper anschaut). Wie das Fernsehen halten Autos das Leben auf Distanz, und es wird zu etwas, das man betrachtet, ohne selbst daran teilzuhaben: zu der Aussicht vom Sofa aus, zu dem Blick auf ein schönes Fleckchen Erde durch die Windschutzscheibe.
Und bei jeder Terroristenbombe, bei jeder Titelgeschichte der Daily Mail über die steigende Kriminalität, bei jedem Streik und jeder Katastrophe dürften sich die Chefs und Aktionäre der großen Versicherungsgesellschaften frohlockend die Hände reiben. Die durch Furcht erzielten Profite sind beträchtlich.
Furcht ist auch ein Instrument der Kontrolle. Es ist die Angst vor der Bestrafung, die eine Klasse still bleiben lässt und die Aufgabe des Lehrers erleichtert; es ist die Angst vor der Entlassung, welche die murrenden Arbeiter zum Schweigen bringt. Furcht trägt ferner dazu bei, dass wir unsere Funktion als Verbraucher erfüllen. Es ist die Furcht vor dem Leben, die uns veranlasst, Geld in den Einkaufspassagen auszugeben und unsere Kreditkartennummern in Websites einzutippen. Es ist die Furcht, die uns am Ausbrechen hindert; es ist Furcht, die uns, wie Häuptling Bromden in Ken Keseys Einer flog über das Kuckucksnest , davon abhält, die Schalttafel in Oberschwester Ratcheds Station abzureißen, sie durchs Fenster zu schleudern und über den Zaun in die wilde Prärie zu springen, um uns selbst zu entkommen. Viel leichter ist es, sich wie die anderen in die Schlange zu stellen und die Tabletten zu schlucken.
Wir mögen uns fragen, woher die Furcht kommt: aus unserer Veranlagung oder unserer Erziehung? Werden wir auf sie konditioniert, oder gibt es etwas angeboren
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