Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
großes Auto gegen ein ganz kleines eingetauscht? Um hier tatsächlich eine kognitive Dissonanz zu erleben, bedarf es offensichtlich eines Zeigefingers von außen, der in unserem Selbstbild herumpult. 7
Seit Festingers Forschungen aus den 1950er Jahren weiß die Sozialpsychologie um die immense Bedeutung von kognitiven Dissonanzen für unsere Psyche. Und sie kennt inzwischen all die Kniffe, mit deren Hilfe wir unsere Gefühle, unser Denken und unser Selbstbild wieder in Sicherheit bringen. Bedauerlicherweise aber haben sich Moralphilosophen nur selten damit beschäftigt. Vermutlich einerseits, weil Philosophen wenig sozialpsychologische Literatur lesen. Zum anderen wohl auch, weil die meisten der Kniffe, mit denen wir uns selbst zurechtrücken, unbewusst ablaufen. Das heißt: In den meisten Fällen merken wir gar nicht, wie sehr wir herumtricksen.
Würden wir uns selbst so gut überschauen, wie Aristoteles oder Kant sich den Menschen gewünscht hatten, so würden wir niemals so trotzig an Meinungen oder Weltanschauungen festhalten, wie wir es gerne tun. Gerade in der Politik sortieren wir, wie Jonathan Haidt gezeigt hat (vgl. Gefühl gegen Vernunft. Wer trifft unsere Entscheidungen?), alle Argumente stets danach aus, ob sie uns in den Kram passen. Und was nicht passend ist, wird passend gemacht. Hauptsache, wir müssen uns nicht völlig umorientieren und etwas dazulernen. Wer mit sechzig Jahren noch seine politische Meinung ändert, läuft immer Gefahr, sein eigenes Verhalten in den Jahren davor radikal in Frage stellen zu müssen. Man müsste zugeben, dass man sich jahrzehntelang etwas vorgemacht hat. Wer aber hat schon die Größe, so etwas zu tun?
Auch die Hirnforschung bestätigt heute die vielen unbewussten Mechanismen, die wir anwenden, um unsere kognitiven Dissonanzen trickreich auszugleichen. Der US-amerikanische Psychologe Drew Westen (*1959), als Professor an der Emory
University in Atlanta ein Kollege von Frans de Waal, untersuchte dazu das poltische Bewusstsein von US-Amerikanern. 8 Er wollte wissen, wie die Parteigänger der Republikaner und der Demokraten die Fernsehdebatte zwischen George W. Bush und seinem Herausforderer John Kerry im Jahr 2004 beurteilten. Wie nicht anders vermutet, sahen die Bush-Anhänger Bush vorn und die Kerry-Anhänger Kerry. Doch was passierte dabei in ihren Gehirnen? Westen beobachtete, wie die Emotionszentralen des Gehirns stets dafür sorgten, dass jede Irritation sofort beseitigt wurde, damit alles beim Alten blieb. Das Fazit bestätigt jeden üblen Verdacht: »Keine der Verschaltungen, die für das bewusste Denken zuständig sind, war sonderlich beteiligt … Tatsächlich erscheint es, als ob Parteigenossen das kognitive Kaleidoskop herumwirbeln, bis sie die Schlussfolgerungen haben, die sie wollen. Jedermann … akzeptiert ein emotional verzerrtes Urteil, wenn er ein persönliches Interesse daran hat, wie die ›Fakten‹ zu interpretieren sind.« 9
Das beste Mittel, jemandes Einstellung zu ändern, ist deshalb vermutlich nicht, ihn zu bekämpfen oder ihm zu widersprechen. In dieser Situation werden kognitive Dissonanzen gar nicht erst zugelassen. Das beste Mittel ist der vergiftete Zuspruch. Zum Beispiel dadurch, dass ich eine Meinung mit völlig unsinnigen Argumenten freundlich unterstütze. Noch schlimmer ist es, wenn Menschen mir beipflichten, deren Weltbild mir völlig unsympathisch oder zuwider ist. Wer freut sich schon über Lob aus einer verdächtigen Ecke? In diesem Moment öffnet sich die Tür zur kognitiven Dissonanz, und es beginnt häufig das Nachdenken.
Unser Gehirn belohnt uns dafür, wenn wir es schaffen, Unstimmigkeiten und Missbehagen zu beseitigen und glattzubügeln. Was auch immer wir zu entscheiden haben, stets suchen wir nach einem Resultat, mit dem wir in Frieden leben können. Aus diesem Grund füllen wir unser moralisches Konto auch Stück für Stück wieder auf, wenn wir uns etwas zu Schulden haben kommen lassen.
Wir gehen moralisch regelmäßig über Los und streichen ausgleichende Summen ein. Und mit der Zeit schmelzen unsere moralischen Schulden oft dahin - jedenfalls die vielen kleinen. Statt mit einem objektiven Gerichtshof haben wir es bei unserem Gewissen eher mit einer Art doppelter Buchführung zu tun, die zahlreiche Tricks kennt, um ihre Bilanzen zu fälschen.
So parteiisch wir mit uns selbst umgehen, so willkürlich betrachten und behandeln wir auch die anderen. Während wir unseren Freunden fast alles verzeihen,
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