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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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sogenannte Schlechte).

    Die Tatsache, dass wir in unserem Alltag unausgesetzt mit Geld umgehen und finanzielle Entscheidungen treffen, macht die Sache der Moral ziemlich schwierig. Geld zieht seine Qualität allein aus der Quantität und vernichtet somit leicht andere Werte. Die Eigenlogik der Geldwirtschaft, die Marktnormen, gehorcht anderen Spielregeln als die Sozialnormen. Da das Erwerben und Erstreben von Geld dazu ziemlich primitive Gelüste in unserem Gehirn weckt, verändern viele Menschen beim Geld ihren moralischen Maßstab bis zur Unkenntlichkeit. Was ansonsten gilt, gilt beim Geld oft nicht mehr.
     
    Unsere Sozialnormen aber - und das macht die Sache ganz besonders schwierig - sind nicht nur durch das Geld und die Normen des Marktes bedroht. Eine weitere Crux liegt darin, dass ohnehin keine unserer Normen ohne Ausnahme bleibt und bleiben kann …
     
    • Mord im Kleingarten. Warum moralische Regeln nie ganz ernst zu nehmen sind

Mord im Kleingarten
    Warum moralische Regeln nie ganz ernst zu nehmen sind
    Tolerant bin ich, wenn ich toleriere, dass andere meine Ansichten gutheißen. Würden sie meine Ansichten verwerfen, wären sie intolerant. Und mit Intoleranten tolerant zu sein, das kann keiner von mir verlangen.
    Guy Rewenig
     
     
    Es gibt viele Gründe, jemanden umzubringen. Wenn er mein Leben bedroht zum Beispiel. Schlimmer noch: das Leben meiner Frau und meiner Kinder. Vielleicht auch einen Gewaltverbrecher, um zu verhindern, dass viele Unschuldige sterben müssen. Oder aber wegen Wegerechten, überhängenden Ästen und Grünschnitt.
    Am Abend des 22. September 2008 erschlug der 65-jährige Rentner Wilfried Reinecke aus dem niedersächsischen Gifhorn drei Menschen auf Grund nicht ordnungsgemäß entsorgter Gartenabfälle: das Ehepaar Gisela und Hans Kaczmarek, 59 und 64 Jahre alt, und ihren 33-jährigen Sohn Martin. 1 Dabei schlug der Rentner mit einem Eichenknüppel so fest zu, bis die Schädel seiner Opfer zertrümmert waren. Anschließend warf er den Knüppel in die Aller und ging nach Hause. Als der Gerichtspsychiater ihn ein Jahr später fragte, was ihm auf dem Heimweg durch den Kopf gegangen sei, antwortete der Mörder: »Nichts.«
    Reinecke ist kein passionierter Gewaltverbrecher, kein Asozialer und seinem Selbstempfinden nach kein Psychopath. Er ist ein Mann, der schlichtweg Recht hat. Und was Recht ist, das muss auch Recht bleiben. Als Besitzer einer Kleingartensiedlung hat er
stets darauf geachtet, dass alles seine Ordnung hat. Und er fühlte sich zuständig. Jede Regel war bei ihm in guter Hand. Er überwachte die Straßenverkehrsordnung, das Kleingartengesetz der Bundesrepublik Deutschland und das des Landes Niedersachsen.
    Kleingartengesetze gehören zu den strengsten Gesetzen der Nation. Die maximale Größe eines Kleingartens ist darin festgeschrieben, die Maximalgröße einer Gartenlaube und die maximale Höhe der Bäume von vier Metern. Selbst das Verhältnis von Zier- zu Nutzfläche duldet keine Unordnung.
    Ein Paradies für ordnungsliebende Menschen wie Reinecke. 42 Jahre lang hat er bei VW gearbeitet, ein einfacher, korrekter, anständiger Mensch, immer pünktlich, immer pflichtbewusst. Seit er in Rente gegangen ist, hat er eine neue Lebensaufgabe gefunden: die Kleingartensiedlung. Von nun an hat er die Kolonie, die längst seinen Kindern gehört, Tag für Tag persönlich inspiziert und kontrolliert. So gründlich, dass dort bald fast niemand mehr hausen und gärtnern wollte. Die meisten gaben ihren Garten auf. Auch Familie Kaczmarek wäre fast weggezogen, als 2005 ihre Laube in Flammen aufging. Doch dann einigten sie sich mit ihrem Nachbarn und nutzten von nun an dessen Grundstück. Fatalerweise hockten sie nun in unmittelbarer Nachbarschaft von Reineckes selbstgenutzter Parzelle. Für ihn war es die Hölle. Die Kaczmareks brachten Unordnung in sein Leben. Sie parkten ihr Auto auf dem Grasweg zwischen den Parzellen, ihre Bäume beugten sich nicht der Vorschrift, und die Kaczmareks hielten Kaninchen.
    Reinecke hätte sie gerne aus der Siedlung geschmissen. Er brauchte Ordnung. Die Kaczmareks aber lachten ihn aus. Reinecke baute eine Schranke vor den Grasweg und verwaltete die Schlüssel. Aber der junge Kaczmarek kletterte einfach drüber und zerstörte sie dadurch. Reinecke griff zu Pollern, unzerstörbar und massiv. Die Kaczmareks und die anderen Pächter parkten ihre Autos nun auf der Straße. Reinecke prüfte den Abstand zum Fahrradweg und erstattete haufenweise

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