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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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dieses charakterlosen Mittels bewerten, ebnen wir alle anderen Werte dadurch ein. So gesehen liegt es in der Natur des Geldes, den Charakter von Menschen durch seine ihm eigene Charakterlosigkeit zu verderben. Je wichtiger man das Geld nimmt, umso stärker drängt es den Lebensinhalt zusammen. Und statt bloßes Mittel zu sein, wird es zum Mittel der Mittel und dadurch zum Selbstzweck.
    Hat Simmel Recht? Falls es noch eines zusätzlichen Beweises bedarf, wie sehr unsere Gehirne in der westlichen Kultur auf Geld programmiert sind, so erbringt ihn heute die so genannte Neuroökonomie. Wissenschaftler in vielen Ländern haben in den letzten Jahren mithilfe des Kernspintomografen untersucht, wie sehr unsere Gehirne auf finanzielle Belohnungen anspringen. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist der US-AMERIKANISCHE Neuropsychologe Brian Knutson von der Stanford
University. Knutson untersuchte unsere Emotionsdynamik im limbischen System des Zwischenhirns. 10 Dazu wählte er zunächst äußerst drastische Mittel. Mit aller optischen Gewalt provozierte er starke Emotionen. Er zeigte seinen Versuchspersonen Fotos von nackten Menschen und beobachtete die Reaktionen im Zwischenhirn. Dann präsentierte er geköpfte Leichen. Wie nicht anders zu erwarten, riefen die Bilder starke Emotionen hervor. Die stärksten Reaktionen aber traten tatsächlich ein, als Knutson seinen Versuchspersonen Geld anbot. Das mesolimbische Belohnungssystem wurde gewaltig stimuliert, insbesondere der Nucleus accumbens, ein kleiner Kern, der unter anderem die Ausbildung von Suchtverhalten beeinflusst. Dazu sorgte der Neurotransmitter Dopamin für freudige Erregung.
    Auch der Bonner Volkswirtschaftler Armin Falk, ein Schüler von Ernst Fehr, zeigt überzeugend, wie stark unser Belohnungszentrum im Zwischenhirn sich über Geld freut. 11 Je größer die Summe, umso größer die Freude. Bezeichnenderweise bemisst unser mesolimbisches System die freudige Erregung einzig und allein nach der Geldmenge, und zwar ziemlich unabhängig von ihrem realen Wert. Tausend Schweizer Franken lösen also in unserem Gehirn mehr Freude aus als 900 Euro - obwohl Letztere objektiv einen höheren Wert darstellen. Unsere Gehirne sind also nicht nur anfällig für Geld, sondern auch für »Geldillusion«: Die gefühlte Größe einer Summe dominiert über deren Realwert.
    Wenn es ums Geld geht, besonders um große Beträge, geraten die meisten Menschen außer Kontrolle. Gehirnregionen, die für unsere Triebbefriedigung und für primitive Emotionen verantwortlich sind, übernehmen die Regie über unser Denken und bringen uns in einen Zustand der Gier. Ein nahezu unstillbares Verlangen setzt ein - ein Mechanismus, den schon Karl Marx präzise erkannt hatte, als er schieb: »Der Trieb der Schatzbildung ist von Natur maßlos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d. h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichtums, weil in jede Ware unmittelbar umsetzbar. Aber
zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den Schatzbildner stets zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert.« 12
    Die Beweise sind erdrückend. Geld ist in hohem Maße dazu geeignet, unsere Gier zu stimulieren und Suchtverhalten auszuprägen. Dabei beziehen sich die Gier und die Sucht bezeichnenderweise nur auf das Erwerben von Geld. Der Besitz dagegen löst kaum freudige Erregungen aus. Ganz im Gegenteil. Die vorherrschenden Gefühle sind hierbei ganz andere. Statt Lust und Gier dominieren Sicherheitsgefühle und Sicherheitsbedenken wie Angst und Misstrauen.
    Es gibt viele Gründe, weshalb Geld unsere moralischen Instinkte und Maximen außer Kraft setzt. Die primitive Gier und die Suchtstruktur des Nucleus accumbens sind dabei nur einer von mehreren. Eine weitere Gefahr liegt in den sozialen Konsequenzen von Reichtum und Armut. Wer durch plötzlichen Wohlstand oder das schnelle Abrutschen in die Armut aus seinem gewohnten Umfeld gerissen wird, dem droht ein gefährlicher Orientierungsverlust. Wenn Simmel Recht hat, dass das Geld ein Spinnennetz des Sozialgefüges webt, so wird dieses Netz einer harten Belastungsprobe ausgesetzt. Denn wenn die materiellen Werte, die mich bislang orientierten, in kurzer Zeit entweder nahezu

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