Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
die Nase platt drücken. In solcher Lage nützt es der Wirtschaft wie der Gesellschaft, wenn Statussymbole sich schleichend entwerten, indem sie billiger (und gleichzeitig durch teurere ersetzt) werden. Wer die oft existenzielle Dimension von Flachbildschirmen für viele Hartz-IV-Empfänger in Deutschland verstehen will, muss realisieren, was mit Status gemeint ist: das Gefühl, dazuzugehören und nicht weniger wert zu sein als andere. Genau dies entscheidet über das soziale Klima in einem Land. Je mehr Menschen das Gefühl haben, dass sie »sich etwas leisten« können, umso besser ist es um den sozialen Frieden bestellt.
Das Merkwürdige ist freilich, dass oft schon die Illusion ausreicht, um Leute zufriedenzustellen. Dass Menschen Statussymbolen wie Autos oder Geräten der Unterhaltungselektronik einen enormen Wert beimessen, ist schon kurios genug. Doch darüber hinaus unterliegen sie auch hochgradig der Geldillusion. Wie im zweiten Teil gezeigt (vgl. Im Netz der Spinne. Was Geld mit Moral macht), sind Menschen dafür anfällig, Geldbeträge stets absolut wahrzunehmen und nicht relativ. Schon der bedeutende britische Ökonom John Maynard Keynes (1883-1946) hatte die große Bedeutung der Geldillusion genau erkannt. Vor einigen Jahren demonstrierte auch Ernst Fehr in Zürich, dass Menschen bei Löhnen und Preisen immer auf die absoluten Zahlen schauen, aber nicht auf die damit verbundene Kaufkraft. Faktoren wie Teuerung und Inflation werden kaum realistisch wahrgenommen. Fehr und sein Kopenhagener Kollege Jean-Robert Tyran fragten zudem zahlreiche Arbeitnehmer, welche der beiden Möglichkeiten sie eher akzeptieren würden: einen Lohnanstieg um zwei Prozent bei einer Inflationsrate von vier Prozent? Oder aber eine Lohnsenkung von zwei Prozent bei einer Teuerung von null Prozent? Obwohl das Resultat am
Ende das gleiche ist, entschied sich die Mehrheit spontan für den ersten Vorschlag. 12
Im Zweifelsfall, so das Ergebnis, wollen die Leute lieber durch Geldillusion betrogen werden, als der Situation ins Auge zu sehen, Einbußen zu verzeichnen. Menschen haben große Probleme damit, etwas zu verlieren. Diese »Verlustaversion«, so Fehr, ist ein sehr wichtiger psychologischer Faktor unserer Volkswirtschaft, weil »Menschen Verluste viel stärker empfinden als Gewinne. Wenn man 1000 Franken weniger als erwartet bekommt, ist der damit verbundene Nutzenverlust ungefähr doppelt so groß wie der Nutzengewinn, den man erzielt, wenn man 1000 Franken über der Erwartung bezahlt wird. Verlustaversion ist eine wichtige psychologische Ursache für die bekannte Schwierigkeit, Reformen in Unternehmen und Politik durchzusetzen; der Widerstand der Reformverlierer ist oft viel stärker als die Unterstützung der Reform durch jene, die von der Reform profitieren.« 13
Verlustaversion sorgt dafür, dass es sehr schwer ist, die Richtung der Wirtschaft entscheidend zu verändern. Gesellschaften, die sich seit Jahrzehnten daran gewöhnt haben, dass alles mehr wird, sind kaum bereit zu einem freiwilligen Verzicht. Wenn man den Menschen in Deutschland heute die Hälfte von dem wegnähme, was sie verdienen und besitzen, würden sie gewiss nicht wieder so glücklich wie 1970. Der Aufschrei wäre schrill und laut. Empörung und Entsetzen breiteten sich aus. Unsere Demokratie bräche mutmaßlich zusammen. Und vermutlich übernähmen in kürzester Zeit gefährliche Populisten die Macht.
Auch Anspruchshaltungen gehorchen dem Prinzip der shifting baselines. Statt sich darüber zu freuen, dass sie in einem der reichsten Länder der Welt leben, sind zahlreiche Berufsgruppen unzufrieden mit ihren Löhnen. Ihre Kollegen aus den 1950er Jahren dagegen gerieten vor Begeisterung über ein solches Lohnniveau völlig aus dem Häuschen. Doch unsere Bedürfnisse orientieren sich nicht an den Vergleichswerten von vor fünfzig
Jahren, sondern sie passen sich der Umwelt an. Was eine Gesellschaft für »normal« hält, ist das, was sie tagtäglich erlebt und kennt, und nicht das, was sie nie erlebt hat. Und was auch immer wir in der Zukunft erwirtschaften werden: An der gefühlten Armut und dem gefühlten Reichtum wird sich nicht allzu viel ändern.
So gut informiert wir auch sind über den Klimawandel, die Grenzen des Wachstums, die gewaltigen ökologischen Folgekosten unseres Handelns - so wenig sind die meisten Menschen bereit, ihr Verhalten freiwillig zu ändern. Jedenfalls nicht, solange andere nicht ebenfalls dazu bereit sind. Und solange die anderen -
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