Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
auf Materielles fixiert, ohne dadurch glücklicher zu werden. Unsere Mentalität ist sehr weitgehend eine Konsummentalität geworden. Doch die Tretmühlen des Glücks lassen uns nicht vorankommen. Stattdessen müssen wir beobachten, wie der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft schlechter wird.
Das Hamsterrad, in dem wir uns abstrampeln, ist die Folge unserer Ideologie, dass das materielle Wachstum unser Glück mehrt. Doch warum sind wir so darauf fixiert?
• Vom Glück, ein Bhutaner zu sein. Warum wir unseren Wohlstand falsch messen
Vom Glück, ein Bhutaner zu sein
Warum wir unseren Wohlstand falsch messen
Das »Land des Donnerdrachens« hat 700 000 Einwohner und den weltweit höchsten Berg, der noch nie von einem Menschen bestiegen wurde. Bergsteigen oberhalb von 6000 Metern ist in Bhutan verboten. Die schneeumtosten Gipfel des Himalaya gehören den Göttern und Geistern; Menschen haben dort nichts zu suchen.
Auch sonst geht in Bhutan vieles einen anderen Gang als bei uns. Die Menschen leben bescheiden von dem, was ihre Äcker hergeben. Das höchste Staatsziel ist nicht das Wirtschaftswachstum, sondern der Natur- und Umweltschutz. Bhutan ist das vermutlich ursprünglichste Land der Welt. Zwei Drittel bestehen aus unberührtem oder nachhaltig bewirtschaftetem Wald. Der Bildungsetat ist sieben Mal höher als die Militärausgaben. 1 Das Rauchen ist im privaten Umfeld erlaubt, aber es gibt keinen Tabak. Und über alles wacht die Staatsreligion, der Vajrayana-Buddhismus: die Philosophie von der Einheit allen Seins vor jeder Unterscheidung von Ich und Welt, Begehren und Objekt. Die Lehre vom höchsten Gut des Mitgefühls.
Bhutan ist einer von sehr wenigen Staaten der Welt, die ihrem Bruttoinlandsprodukt (BIP) wenig Bedeutung beimessen. Über den Platz 113, den das Land gegenwärtig in der Weltrangliste einnimmt, können die Bhutaner nur lächeln. Seit 1972 nämlich gilt für Bhutan ein ganz anderer Index: das »Bruttonationalglück« (gross national happiness). 2 Anlass für diese Innovation
war ein Artikel in der Financial Times. Der Autor hatte bemängelt, dass es um das Wirtschaftswachstum im Land schlecht bestellt sei. Jigme Singye Wangchuck, der König von Bhutan, war wenig erfreut. Eigenhändig griff er zum Füller und erklärte der Zeitung, dass man in den USA offenbar nichts kapiere. Nicht Wirtschaftswachstum, sondern Glück sei das Ziel der bhutanischen Regierung. Um seinen Worten Taten folgen zu lassen, bildete der König eilig eine Kommission für das Bruttonationalglück. Ihre Aufgabe: die statistische Erfassung und Berechnung des Lebensstandards einschließlich aller psychologischen und spirituellen Faktoren des Glücks.
»Wachstum«, erklärte unlängst noch einmal die Chefin von Bhutans Planungskommission, Karma Tshiteem, »sollte auch das bezeichnen, was die Menschen wünschen«, Aspekte wie Umwelt, Kultur und Tradition. 3 Die Regierung befindet sich in einem ständigen Austausch mit der Bevölkerung und misst deren Wohlergehen. Was auch immer sich die Politik für Programme ausdenkt, stets werden sie darauf überprüft, ob sie dem Glück der Bevölkerung zuträglich sind. Und immerhin: Mehr als zwei Drittel der Bhutaner meinte 2008, dass sie ein glückliches Leben führten.
Das Messinstrument für den Wohlstand der Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist nicht das Glück. Es ist das BIP: der Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die innerhalb eines Jahres von unserer Volkswirtschaft hergestellt wurden. Jede neu produzierte Tonne Stahl, jede Taxifahrt, jeder Zoobesuch und jede Röntgenaufnahme tragen zum BIP bei. Gemessen wird, mit einem Wort, die Summe aller in Geld bezahlten wirtschaftlichen Aktivitäten. Und je höher das BIP, umso erfolgreicher wähnt sich die Politik.
So weit die Idee. Und so absurd. Denn mit dem BIP misst man nicht Wohlstand, sondern nur Wachstum. Der Unterschied ist leicht erklärt: Wenn unsere Kommunen ihre Stadtwälder abholzen und an ihrer Stelle Wohnsiedlungen bauen würden - steigert dies das BIP. Wenn wir Autobahnen durch Naturschutzgebiete
und Wohngebiete bauen - steigert dies das BIP. Wenn aufgrund von Lärmbelästigung, Stress und Unzufriedenheit Millionen von Menschen zum Arzt oder zum Psychiater gehen - steigert dies das BIP. Wenn eine Stadt ihre Parkplätze abschafft und jeden zur Kasse bittet, der sein Auto öffentlich abstellt - steigert dies das BIP. Wenn unsere Müllberge anschwellen und neue Mülldeponien und
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