Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
mehr neu, wenden wir unsere Aufmerksamkeit schnell von ihm ab. Und auch das neue Auto ist schon nach wenigen Monaten nicht mehr das, was es bei der ersten Fahrt war.
Materielle Glücksversprechen sind also immer eine flüchtige Sache. Dazu kommt, dass mit jedem Besitz die Summe an Abhängigkeiten wächst. Man muss Versicherungen abschließen, die Dinge in Ordnung halten. Und man sorgt sich vor Verlust, Zerstörung, Einbruch und Diebstahl. Aus diesem Grund darf es nicht verwundern, dass - obwohl die ganze politische Anstrengung darauf gerichtet ist - das Glück der Mittelschichten mit zunehmendem Besitz unterm Strich nicht ansteigt.
Das meiste, was wir uns kaufen, brauchen wir nicht wirklich. Aber wenn wir uns auf das beschränkten, was wir tatsächlich brauchen, bräche unser ganzer Binnenmarkt zusammen. Von Menschen, die nur vier Paar Schuhe besitzen und ein einziges Shampoo, kann unsere Wirtschaft nicht leben. Aus diesem Grund weckt sie das Verlangen nach immer neuen Dingen. Sie entfacht eine neue Gier, appelliert an unser Bedürfnis, uns als etwas Besonderes zu empfinden, oder daran, unser Umfeld beeindrucken zu wollen. Kurz gesagt: Sie verspricht uns einen Zugewinn an Anerkennung in den Augen der anderen - also genau das, wonach wir im Sozialen streben.
Unsere Wirtschaft erfüllt nicht unsere Sehnsüchte, sondern sie erzeugt sie erst. Videorecorder, Handys und iPhones sind Antworten auf Fragen, die niemand sich stellte, bevor es die Produkte gab. Heute dagegen können wir uns ein Leben ohne sie kaum noch vorstellen. Wir leben in einer Bedarfsweckungsgesellschaft statt in einer Bedarfsdeckungsgesellschaft. Und die Werbung flüstert uns Schmeicheleien in die Seele, damit wir unser Glück dort suchen, wo wir es nie zuvor vermuteten und langfristig wohl auch nur selten finden.
Das Zauberwort in diesem Spiel heißt Status. Er ist das ins Materielle verlagerte Bild unseres Selbst, die Art und Weise, wie wir uns darstellen. Status bestimmt darüber, wie andere uns spontan wahrnehmen und wie wir uns - über den Blick der anderen - selbst wahrnehmen. Sozialpsychologisch betrachtet ist Status der Schlüssel, warum unsere Wirtschaft so funktioniert,
wie sie funktioniert, obwohl sie das Glück der Menschen nicht weiter erhöht. Für den Schweizer Ökonomen Mathias Binswanger (*1962) von der Fachhochschule Solothurn ist auch das Statusdenken eine Tretmühle. 9 Schon Grundschulkinder wissen, welche Dinge als Statussymbole gelten, und häufig beginnt das Statusdenken schon im Kindergarten.
Das Bezeichnende am Status ist, dass er in dem Moment erlischt, in dem ihn jeder erlangt. Seiner Natur nach ist Status exklusiv, das heißt, er schließt andere aus. Ein deutscher Markenturnschuh ist auf Kuba ein Statussymbol, in Deutschland schon lange nicht mehr. Was wäre ein Mercedes wert, wenn ihn jeder hätte? Status befriedigt kein absolutes Bedürfnis, sondern ein relatives. Worum es geht, ist ein »mehr« gegenüber anderen, ein Unterscheidungsgewinn. Schon Wilhelm Busch wusste, dass »Neid« die »aufrichtigste Form von Bewunderung ist«.
Nach Meinhard Miegel (*1939), dem langjährigen Leiter des Instituts für Wirtschaft und Gesellschaft Bonn, hat sich die »ganze Gesellschaft, vom Kindergartenkind bis hin zu den Bewohnern von Seniorenheimen … in einem gnadenlosen Statuskrieg verkämpft, der in der Regel in riesigen Materialschlachten ausgetragen wird«. 10 Arbeitskämpfe in Deutschland werden nicht mehr um die Existenz ausgetragen, sondern um Status. »Da ziehen sie dann los, trillerpfeifend und kampfentschlossen, um ihre gerechte Sache durchzusetzen, den Erhalt ihres Status: Lokomotivführer und Ärzte, Müllwerker und Lehrer, Metallarbeiter und Orchestermusiker, Kindererzieherinnen und Gebäudereiniger. Keiner von ihnen kann behaupten, er könne von dem, was er verdient und was ihm sonst noch zufließt, nicht ordentlich und auskömmlich leben. Und keiner von ihnen vermag zu sagen, was der angemessene, geschweige denn der richtige Lohn für einen Lokomotivführer oder einen Arzt ist. Den richtigen Lohn gibt es nämlich nicht. Die oft einzige Begründung, in einen Arbeitskampf einzutreten, lautet: Andere haben mehr.« 11
Die enorme Bedeutung des Status in einer Gesellschaft trägt
allerdings mitnichten zu ihrem Glück bei. Denn je exklusiver die Güter, die über den Status bestimmen, umso größer die Zahl derjenigen, die ausgeschlossen bleiben und sich an den Schaufenstern der Luxusautoläden und Nobeluhrengeschäfte
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