Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
eines Säuglings mit seinen nächsten Bezugspersonen. Nicht anders war
es schon zum Zusammenspiel des Lernens bei unseren Vorfahren in Wald und Savanne gekommen. Reichen bei Insekten vielfältige Duftstoffe aus, um sich instinktiv zu »verstehen«, so beginnt die menschliche Kommunikation dort, wo der Instinkt allein nicht ausreicht. Aus physiologischen Signalen wurden körpersprachliche und lautsprachliche Symbole, also Gesten und Laute. Dabei ist Sprache durchaus nichts Technisches, das jedem Menschen aufgrund seiner genetischen Ausstattung automatisch zuwächst. Diese von Biologen sehr geschätzte Ansicht des US-amerikanischen Sprachwissenschaftlers Noam Chomsky (*1928) gilt heute als von der Entwicklungspsychologie weitgehend widerlegt. 10 Die Ausbildung der Sprache und des Denkens in jedem Säugling oder Kleinkind sind zu einem hohen Maß eine Frage von Intimität, Zuwendung und Mitgefühl. Ein grob vernachlässigtes Kind wird sich ein Leben lang schwerer damit tun als ein Kind, das emotional gut umsorgt wurde.
Fühlen, Denken und Sprechen und - wie ich im Weiteren zeigen möchte - auch die Moral sind eine Folge unseres Sozialverhaltens und damit unseres Erfahrungsraums in der Primatenhorde. Am Anfang der Entwicklung unserer sozialen Intelligenz steht die Beobachtung und das Wechselspiel emotionaler Signale, etwa ein Lächeln, das ein Lächeln auslöst. Noch bei Erwachsenen spielen diese Signale eine enorme Rolle: Sie fühlen sich gut an oder schlecht. Nicht wesentlich anders bewerten wir komplexe soziale Situationen.
Moral ist die Folge einer Gruppenkommunikation auf einem geteilten Hintergrund. Unsere soziale Intelligenz und unsere Sprache gehen dabei Hand in Hand. Unsere differenzierte Lautsprache entstand dabei vermutlich aus einer enorm differenzierten Gebärdensprache. Als sozial intelligente Lebewesen können Menschen Absichten anderer erkennen und sich an ihnen orientieren. Wir können uns sprachlich abstimmen und uns gemeinsam auf Absichten und Wahrnehmungen beziehen.
Doch wie muss man sich diesen Zusammenhang aus Horde, Sprache und Sozialverhalten genau vorstellen, damit sich beim Menschen etwas so Spektakuläres entwickeln konnte wie die Erklärung der Menschenrechte, das Bürgerliche Gesetzbuch, die Straßenverkehrsordnung oder das Einkommenssteuergesetz? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir mehr über unser tierisches Erbe wissen, über die Wurzeln allen Übels und alles Guten bei unseren nächsten Verwandten. Mit anderen Worten gefragt: Sind Affen gut, böse oder gar nichts?
• Das Tier, das weinen kann. Die Natur der Psychologie
Kreischende Kapuziner
Ist Fairness angeboren?
Die Emory University im DeKalb County in der Nähe von Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ist eine berühmte Kaderschmiede für Theologen, Juristen und Manager. Von Methodisten 1836 gegründet und groß gemacht von Asa Griggs Candler, dem Gründer der Coca Cola Company, entspringt sie dem amerikanischen Traum aus Big Business und Kirche. Inmitten der vielen schneeweißen neoklassizistischen Gebäude und zwischen blendend gepflegten Parkanlagen steht das Psychology and Interdisciplinary Science Building, ein moderner Neubau aus dem Jahr 2009. Als eine von wenigen Fakultäten in der Welt beherbergt es Psychologen, Verhaltensforscher, Kognitionswissenschaftler und Hirnforscher unter einem einzigen Dach. Der Star dieser Fakultät aber ist ein 62-jähriger weißhaariger Niederländer: Frans de Waal - der wohl renommierteste Primatenforscher der Welt.
Wer sich mit Tieren beschäftigt, kommt irgendwann auf den Menschen. Konrad Lorenz ist diesen Weg gegangen, Irenäus Eibl-Eibesfeldt, Julian Huxley, Desmond Morris, Edward O. Wilson, Stephen Jay Gould, Jared Diamond und natürlich - Frans de Waal. Unter all den Genannten ist er dabei am weitesten gekommen, präzise, vorurteilsfrei, umsichtig und mit unbändiger Erkenntnislust.
Am Anfang war der schnauzbärtige Niederländer nur einer von vielen in der Pionierzeit der 1970er Jahre. Obwohl er, anders als etwa Jane Goodall oder Dian Fossey, Menschenaffen nicht in ihrer natürlichen Umgebung studierte, gilt er als einer
ihrer besten Beobachter. Seine Untersuchungen im niederländischen Zoo von Arnheim sind Legende. Heute ist de Waal eine Kapazität. Seit zwanzig Jahren ist er Professor in Atlanta und leitet dort das Primatenzentrum. Seine Bücher, in viele Sprachen übersetzt, sind eine publizistische Erfolgsgeschichte. Doch was hat er uns zu sagen?
De Waal ist ein
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