Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein
einer der bedeutendsten Schwarmforscher der Welt.
Schwärme - das sind mehr als die Stichlinge, Plötzen, Karpfen, Aale und Störe in den Aquarien, Wassertanks und Zuchtteichen des Instituts. Schwärme sind auch die Konstellationen der Vögel am Himmel, die Herden der Huftiere, die Rotten der Raubtiere und die Horden der Primaten. Ob Säbelantilopen, Hausschafe, Zebrafinken, Wölfe, Kühe, Schimpansen oder Gorillas - in all diesen Gruppen gibt es typisches Schwarmverhalten, einschließlich beim Menschen. Wenn wir auf einem unbekannten Flughafen den Weg zum Schalter oder zum Baggage Claim suchen, gehen wir einfach anderen hinterher. Je zielgerichteter jemand anderes in eine bestimmte Richtung marschiert, umso eher sind wir geneigt, ihm zu folgen. Intuitiv orientieren wir uns an den Führern unseres unreflektierten Vertrauens. Wir verlassen uns auf Gesten und Blicke. Und wir kopieren, ohne zu kapieren.
Die Erforschung des menschlichen Schwarmverhaltens ist eine junge, faszinierende Wissenschaft. Und Krause gehört zu ihren Pionieren. Unausgesetzt denken sein Team und er sich neue Experimente und Versuchsanordnungen aus. Im Jahr 2007 versammelten
sie in Köln zweihundert Freiwillige in einer großen Halle. 1 Niemand von ihnen wusste, worum es geht. Der Auftrag bestand in nichts anderem, als fortwährend zu gehen und sich nicht weiter als eine Armlänge vom Nebenmann zu entfernen. Die Menge setzte sich in Bewegung. Niemand hatte ein Ziel oder einen Plan. Doch schon nach kurzer Zeit hatte sich der »Schwarm« zu einer erstaunlichen Formation geordnet: zu zwei Kreisen. Etwa die Hälfte der Versuchsteilnehmer ging in einem inneren Kreis in eine bestimmte Richtung. Und die andere Hälfte in einem äußeren Kreis in die entgegengesetzte Richtung.
So interessant das Phänomen war, so wenig allerdings hat es mit dem normalen Verhalten von Menschen zu tun. In jeder menschlichen Gemeinschaft nämlich gibt es im Regelfall Führer. Manchmal sind es die dominanten Personen einer Gruppe. Und manchmal ergibt sich die Führerschaft schlicht aus den Umständen oder durch Zufall. In ihrem Kölner Experiment wählten Krause und seine Mitarbeiter heimlich zwei Führer aus. Der Auftrag des einen bestand darin, nach rechts aus der Gruppe auszuscheren. Der andere sollte sich nach links bewegen. Wie würde sich der Menschenschwarm verhalten? Das Ergebnis war überraschend. Anders als Fische im Aquarium sich in einer solchen Situation verhalten, teilte sich die Gruppe nicht in zwei Hälften. Die Versuchsteilnehmer blieben zusammen und rochierten zwischen links und rechts hin und her. Offensichtlich prüften sie intuitiv, welche der beiden Richtungen die vermutlich bessere sein könnte.
Die spannendste Erkenntnis aber brachte eine dritte Versuchsreihe. Was passiert, wenn man unbemerkt mehrere Führer in der Gruppe platziert? Krause probierte es mit fünf heimlichen Führern. Das Resultat war gleich null. In einem zweiten Versuch erhöhte er die Zahl auf zehn Führer. Und diesmal passierte etwas. Die Führer schafften es, die Laufrichtung der Gruppe zu manipulieren. Scherten sie aus dem Kreis aus, so folgten die anderen ihnen ohne größere Umstände nach. Zehn Führer auf
200 Menschen ergibt eine Relation von eins zu zwanzig. Das Ergebnis ist faszinierend: Fünf Prozent des Schwarms reicht aus, um die Gruppe zu führen, ohne dass sich die anderen dessen bewusst sind!
Krauses Forschungen führen zu einer ganz neuen Betrachtung des menschlichen Gruppenverhaltens. Schwarmforschung - das ist mehr als das schräge Hobby leidenschaftlicher Aquarianer. Vielmehr verrät sie einen tiefen Blick in die kollektive Psyche auch von anderen Wirbeltieren wie dem Menschen. Zwölf Jahre lang hat Krause in seinem Labor in Leeds die Grundlagen dafür erforscht, nach Aufenthalten an den Elite-Universitäten in Cambridge und Princeton. Seinen Kollegen aus anderen Disziplinen galt er als der Herausgeber eines Fachbuches über das Denken und Verhalten von Fischen. 2 Heute ist er der Experte, der Militärs, Polizei, Sicherheitsunternehmen und Architekten berät. Auch die Wirtschaft, allen voran die großen IT-Unternehmen, interessieren sich sehr für seine Forschungen.
Wenn Menschen sich in manchen Situationen nicht anders verhalten als Fische - werden dadurch die Menschen abgewertet oder die Fische aufgewertet? Für einen Fischfreund wie Krause gilt zunächst einmal Letzteres. Fische haben ein erstaunlich gutes Langzeitgedächtnis. Einige Arten erinnern sich
Weitere Kostenlose Bücher