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Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein

Titel: Die Kunst, kein Egoist zu sein - Precht, R: Kunst, kein Egoist zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard David Precht
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ist als die anderen, muss um seine
soziale Akzeptanz fürchten. Als ich in der Pubertät war, sparten meine Eltern das Geld für nahezu jede neue Kleidung für uns Kinder. Stattdessen wurde ich weitgehend mit Klamotten vom Flohmarkt eingekleidet. Ende der 1970er und Anfang der 1980er war das in gewisser Weise sogar in. Akzeptiert aber war bei Jugendlichen der Umwelt- und Friedensbewegung ein ganz bestimmter Flohmarktchic - und zwar seltsamerweise PLO-Tücher und Militärparkas -, aber nicht das, was ich vom Flohmarkt bekam: die Mode von vor fünf Jahren! Es gibt auch einen Konformismus der Nonkonformisten. Selbst Flohmarktklamotten sollten nach Stil aussehen und nicht so, als ob man die Mode dämlicherweise verpasst hätte.
     
    Unser moralisches Verhalten wird immer auch von der Bezugsgruppe geprägt, in der wir uns - freiwillig oder unfreiwillig - bewegen. Mindestens ebenso wichtig wie unsere inneren Überzeugungen ist es, von unserer Bezugsgruppe akzeptiert zu werden. Wir antizipieren den Blick der anderen auf uns selbst und stimmen unsere Entscheidungen und unsere Handlungen damit ab. Moralisch betrachtet kann uns dieses Verhalten dabei helfen, uns im guten Sinn gruppenkonform zu verhalten. Ebenso leicht ist es aber auch möglich, dass wir uns durch Gruppenverhalten zu Handlungen hinreißen lassen, die unseren inneren Überzeugungen eigentlich widersprechen.
     
    Die besondere Crux an unserem Gruppenverhalten ist, dass wir unsere Moral zumindest kurzfristig so verschieben können, dass wir dabei mitunter gegen unser eigenes Selbstbild handeln. Doch wie ist das möglich? Ist unser Selbstbild nicht gerade an ziemlich konstante Werte gebunden, an das, was wir prinzipiell für richtig, gut und wahr halten? Wie schaffen wir es, uns dabei zu überlisten?
     
    • Das Milgram-Experiment. Wie wir Grenzen verschieben

Das Milgram-Experiment
    Wie wir Grenzen verschieben
    Die Annonce war ganz harmlos. In der Lokalzeitung von New Haven suchte ein junger unbekannter Professor Versuchspersonen. Vier US-Dollar und fünfzig Cent, das entspricht heute zwanzig oder dreißig Euro, standen als Lohn in Aussicht. Auch die Fahrtkosten wurden erstattet.
    Als die Freiwilligen im Labor der Yale University eintrafen, hatten sie nicht die geringste Ahnung, was auf sie zukam. Doch in den kommenden Wochen schrieben sie Geschichte. Sie wurden Teilnehmer des wohl berühmtesten psychologischen Experiments aller Zeiten. Und ihr Verhalten erwies sich als verstörend, befremdend und erschreckend. Es löste eine Lawine aus.
    Auf die Menschen, die sich auf die Annonce gemeldet hatten, wartete eine Aufgabe als »Lehrer«. Unter der Täuschung, dass auch ihr »Schüler« ein Freiwilliger sei - tatsächlich war es ein Schauspieler -, sollten die Lehrer den Schüler überprüfen. Während des Experiments befanden sich jeweils ein Lehrer und der Schüler in getrennten Räumen. Der auf einem Stuhl festgebundene Schüler setzte Wortpaare zusammen. Und der Lehrer kontrollierte im Nebenraum das Ergebnis. Machte der Schüler einen Fehler, so forderte der Versuchsleiter den Lehrer auf, den Schüler zu bestrafen: durch einen schwachen Stromstoß von 45 Volt. Bei jedem weiteren Fehler sollte der Lehrer die elektrische Spannung um 15 Volt erhöhen.
    Die Versuchsreihe fand im Jahr 1961 statt. Menschen für einen psychologischen Versuch mit Elektroschocks zu quälen verstieß
gegen das Gesetz und gegen jede ethische Konvention wissenschaftlicher Forschung in den USA. Und der Architekt des Versuchs, der gerade 28-jährige Stanley Milgram (1933-1984), war kein Sadist. Tatsächlich waren die Stromstöße eine Fiktion. Der als Schüler getarnte Schauspieler tat nur so, als ob er die Schläge erhielt. Nach einem genau festgelegten Schema drehte und wand er sich auf seinem Stuhl, schrie auf oder flehte den Lehrer an, ihn loszubinden und von dem weiteren Fortgang des Experiments zu befreien.
    Die Versuche gingen ihren Gang. Die Lehrer stellten ihre Fragen, und der Schüler erhielt seine Bestrafungen, von denen die Lehrer annehmen mussten, dass sie echt waren. Wie weit würden sie gehen? Würden sie ihrem Schüler starke Stromstöße verabreichen?
    Wie nicht anders zu erwarten, wurden die meisten Lehrer schnell unsicher, ob sie den Schüler tatsächlich mit immer höheren Dosen bestrafen sollten. Doch jetzt trat der Versuchsleiter (auch er ein Schauspieler) auf den Plan. Er pochte auf die ordnungsgemäße Durchführung des Experiments. Dabei sprach er die vier immer

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