Die Kunst, nicht abzustumpfen
Freude aus den Gesichtern und Herzen der Kinder, und sie wurden still und traurig.
Die Wahrheit ging weiter. Auf einem Jahrmarkt sah sie, wie ein junger Mann an einer Glücksbude einen hellfunkelnden goldenen Ring gewonnen hatte und ihn nun seiner Liebsten an den Finger stecken wollte.
»Ihr glaubt wohl, der Ring sei aus Gold?« sagte spöttisch die Wahrheit. »Oh nein, er ist nicht echt, er ist nur aus wertlosem Messing und wird bald seinen Glanz verlieren!« Da schwand plötzlich alle Freude aus Gesichtern und Herzen der beiden Liebenden, und sie wurden still und traurig.
Die Wahrheit ging weiter. An einer Straßenecke saß ein Kind. Es sah blass, schwach und elend aus und hatte einen Buckel.
»Du armes, verkrüppeltes Geschöpf«, sagte die Wahrheit mitleidig, »ich wollte, du brauchtest diesen Buckel nicht zu tragen …«
»Wieso?« erwiderte erstaunt das Kind. »In diesem Buckel innen drinnen sind ein Paar Flügel der Engel am Himmel. Du kannst es ruhig glauben, denn meine Mutter hat es mir selbst gesagt!« Und die Augen des Kindes strahlten.
Da wandte sich die Wahrheit ab und ging stumm von dannen …
Teil II
Hoffnung hegen
hegen (Verb), Wortbedeutung:
pflegen, aufziehen, betreuen, hüten, kultivieren, schützen, umhegen, zum Gedeihen bringen, bearbeiten, warten, zur Weide führen, grasen lassen, in Stand halten, erhalten, gut umgehen mit, fördern, pfleglich behandeln, nicht abnützen, instand halten, nicht strapazieren, sorgfältig behandeln, sich kümmern um, sorgen für.
1. Was bringt das?
Gegen die Hoffnungsarbeit könnte pessimistisch eingewendet werden: »Was bringt so etwas?« und »Wohin führt das?« Letzteres können wir vorher nicht wissen. Das ist ja das Aufregende beim Prozess der Hoffnung: Es kann Unvorhergesehenes geschehen; es kann sich etwas entwickeln, was nicht einfach die Verlängerung des Alten ist; etwas, was wirklich diesen Namen verdient: Neues. Klaus Mertes, Jesuitenpater und ehemaliger Rektor des Canisiuskollegs in Berlin, hält die Erfahrung des Unplanbaren für wichtig, denn die Zukunft ist offen. Der Mensch ist fähig, umzukehren und einen Neubeginn zu wagen (Weber 2010, 70). Für Frank Schirrmacher (2009, 129) sind gerade »die wertvollsten menschlichen Verhaltensweisen durch Nicht-Vorausberechenbarkeit gekennzeichnet«.
Was »so etwas bringt« ist dies: Sinn der Übungen (Seite 55 und 63) ist es, punktuell, am Beispiel einer Nachricht, die damit verbundenen Emotionen bewusst zu machen – sie zu »merken« – und damit ihre Verdrängung abzuwenden. In der Tiefenpsychologie wird das Unbewusste zuweilen mit einem unterirdischen See verglichen. Diesem Bild zufolge führt jede Verdrängung dazu, dass psychische Energie nach unten abfließt, wodurch der See bzw. das Unbewusste immer größer und das Ich-Bewusstsein entsprechend kleiner wird. Zwischen zwei Massen wirken jedoch (so ein Vergleich des Tiefenpsychologen Erich Neumann [1974, 300]) Anziehungskräfte, vergleichbar der Schwerkraft. Somit bewirkt jede Verdrängung, dass die Anziehungskraft durch das Unbewusste größer und das Ich-Bewusstsein zunehmend schwerer, kraftloser, apathischer, leidenschaftsloser wird.
Diese Wirkung kann durch die Übungen ein kleines Stück weit umgekehrt werden, indem eine Emotion sozusagen aufgefangen und dem Ich-Bewusstsein zugeführt wird. Indem wir »merken«, gewinnt das Ich ein Stück Leidenschaft zurück. Ein
bewusstes Umgehen mit den Emotionen über die Welt kann uns, so Joanna Macy (1988), dabei helfen, beängstigende Informationen zu verarbeiten, ohne von Angst, Trauer, Wut und dem Gefühl von Hilflosigkeit überwältigt zu werden. Diese Arbeit befähigt uns, Haltungen des Vermeidens und der daraus resultierenden Lähmung zu überwinden und unsere Bereitschaft zum Handeln zu fördern.
Tatsächlich ist bei den Workshops zur Hoffnungsarbeit zu beobachten, dass die Gefühle der Teilnehmenden sich im Lauf des Prozesses verändern. Aus der anfänglichen Trauer, der Verzweiflung oder dem Entsetzen erwächst ein Bedürfnis, auf die Nachricht zu reagieren, aktiv zu werden, »etwas« zu tun. Im Prozess der Hoffnung gibt es eine Phase, in der sich etwas Wesentliches verändert, was mit rationalen Begriffen nur schwer zu beschreiben ist. Es ist wie eine chemische Veränderung, wie ein Wechsel der Gezeiten, wie der Übergang vom Ein- zum Ausatmen, wie eine innere Revolution oder wie ein Tor zu etwas Anderem, zu etwas Neuem . In Religionen wird diese Veränderung als Metanoia
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