Die Kunst, nicht abzustumpfen
nüchterne Zahlen in visuelle Eindrücke zu übersetzen, um bestimmte Zusammenhänge zu verdeutlichen (Preuss 1991, 123). Ein Beispiel: Die soziale Ungerechtigkeit in der Bundesrepublik heute lässt sich durch trockene Statistiken vermitteln oder durch einen Vergleich veranschaulichen: Stellen Sie sich ein Hochhaus von sechzig Metern Höhe vor – dies symbolisiert das Vermögen der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Daneben krabbelt eine Ameise, die das gesamte Vermögen der armen dreißig Prozent darstellt (Guzmán 2011).
Falls diese Strategie jedoch nicht zum gewünschten Lerneffekt führt, dann wird nicht selten versucht, mit noch mehr Daten und noch schockierenderen Bildern medial »nachzurüsten«. Dies entspricht den ersten beiden Versionen in der oben beschriebenen Übung: Primär wird die Kognition der Menschen angesprochen. Ich halte diese Strategie für gut gemeint, aber
fragwürdig, weil die Gefahr besteht, dass dadurch der Überdruss noch verstärkt wird.
Für grundlegend wichtig halte ich es vielmehr, die emotionale »Seite« der Nachrichten über die Welt mit zu berücksichtigen – freilich dosiert und in einem geschützten Rahmen. Denn alle Schmerzen über die ganze Welt zu empfinden, damit wäre jeder Einzelne und jede Gruppe überfordert. Ein gewisses Maß an Abschottung ist daher für die seelische Gesundheit (»Psychohygiene«) des Menschen unabdingbar. Sie ist ein Schutzmechanismus gegen ein emotional-überforderndes Zuviel an bedrängenden Nachrichten (Hofmeister 2010). Problematisch ist es nur, wenn diese Emotionen chronisch abgewehrt werden müssen.
Eine »Betroffenheits-Pädagogik«, die darauf abzielt, die Menschen durch möglichst »aufrüttelnde« Medien maximal zu emotionalisieren, halte ich für fragwürdig, weil das Wecken von Emotionen keineswegs automatisch zu positiven Lerneffekten führt. Vielmehr kommt es darauf an, die Emotionen, die unvermeidlich mit einer Nachricht verbunden sind, anzuerkennen und kompetent zu begleiten, so dass sie bewusst werden und sich wandeln können. Es gilt, Kognition mit Emotion zu verknüpfen, weil nur dann gelernt werden kann.
Dies erfordert freilich Kompetenzen auf Seiten der Lehrenden bzw. der politischen Aktivisten, die üblicherweise kaum zu ihrer Ausbildung zählen: die Fähigkeit, mit extrem schmerzhaften Gefühlen umzugehen, bei sich selbst wie bei den Schülern bzw. Gesprächspartnern. Das bedeutet im Wesentlichen: Die Fähigkeit, deren Entsetzen, Mitgefühl, Angst, Scham oder Wut auszuhalten, zu begleiten und den Menschen Möglichkeiten zu bieten, diese Emotionen zum Ausdruck zu bringen – sei es durch gesprochene oder geschriebene Worte, Töne, Klänge, Bewegungen, Farben oder anderes.
Diese Kompetenz sollte meines Erachtens künftig in der Aus- und Weiterbildung von Lehrern und verwandten Berufsgruppen (z. B. Gedenkstättenpädagogen) vermittelt werden.
6. Anregungen zum Schöpfen von Hoffnung
Was wir am dringlichsten tun müssen, ist, in uns hineinzuhorchen, um zu hören, wie die Erde weint.
Thich Nhat Hanh
Ich komme auf das Bild des »Schöpfens« von Hoffnung zurück. Stellen wir uns eine Schöpfkelle und eine Quelle vor. Solange die Kelle nicht in das Wasser eingetaucht wird, bleibt sie leer. Das bedeutet: Solange wir uns nur kognitiv mit den Nachrichten über die Welt auseinandersetzen und die damit verbundenen Emotionen ausklammern, kann es keine Hoffnung geben.
Im Unterschied dazu wird die Schöpfkelle voll, wenn wir sie in die Quelle eintauchen; d. h. wenn wir in die »Dunkelheit« der Schmerzen über die Welt hinabgehen. Damit ist aber noch wenig gewonnen, solange die Kelle unten eingetaucht bleibt. Notwendig ist es vielmehr, die Kelle nach unten und dann wieder nach oben zu bewegen, vom Dunkel zurück ins Licht des Bewusstseins.
Hoffnungsarbeit mit Erwachsenen
Nachfolgend möchte ich einige Anregungen geben, wie das Schöpfen von Hoffnung im Alltag praktiziert werden kann. Zunächst eine kleine Übung am Beispiel einer Fernseh-Nachrichtensendung:
Zunächst sollten Sie dafür sorgen, dass Sie einen ruhigen und geschützten Raum haben, in dem Sie eine Zeitlang nicht gestört werden; Telefon oder Handy sind ausgeschaltet und Sie stehen nicht unter Zeitdruck. Setzen Sie sich bequem hin; legen Sie Papier, Stift und die TV-Fernbedienung bereit.
Schalten Sie eine Nachrichten-Sendung ein und beobachten
Sie dabei Ihre Empfindungen. Gleich nach der ersten Negativ-Meldung, sobald die Sendung zu einem anderen Thema
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