Die Kunstjaegerin
Oder willst du ihn haben?«
Sie sah Paul fragend an.
»Nein, Tante. Hier ist er besser aufgehoben«, antwortete er.
»Wie geht es aber dir ?«
»Einigermaßen.« Marie seufzte. »Wisst ihr, bei der Scheidung verlor ich Rembert das erste Mal. Ich habe damals wie bei einem Todesfall getrauert. Natürlich ist die Endgültigkeit jetzt um vieles schlimmer, aber einen Teil des Schmerzes über seinen Verlust habe ich bereits verarbeitet.«
Pauls Tante betrachtete ein Foto, das gerahmt auf einer klassizistischen Kommode stand: Rembert und Marie, glücklich an einem langen Sandstrand. Der schmerzvolle Blick strafte sie Lügen.
Es traf sie viel schwerer, als sie zugab.
»Das war vor 25 Jahren in Ostia, in Italien. Rembert arbeitete damals in der Sixtina. Er half, den Fresken neues Leben einzuhauchen. Er war ein großer Künstler, bevor er anfing zu trinken.« Sie seufzte und sah ihre Gäste erschrocken an. »Oh, entschuldigt, wie unaufmerksam, ich habe den Tee vergessen.« Sie wollte aufspringen, doch Paul hielt sie zurück und übernahm das Einschenken.
»Lass nur Tante, ich mache das. Erzähl ruhig weiter. Wieso begann er eigentlich mit der Trinkerei? Er wich meinen Fragen stets aus.«
»Das weiß ich auch nicht. Was genau geht in einer Künstlerseele vor? Ich habe ihn oft nicht verstanden, deswegen mache ich mir heute noch Vorwürfe. Vielleicht hätte ich geduldiger mit ihm sein müssen, vielleicht war ich schuld. Oder war es Veranlagung? Auch sein Vater war Alkoholiker. Es ist schwer zu sagen. Er war hin-und hergerissen zwischen seiner Arbeit als Restaurator und seiner Berufung als Maler.« Sie zeigte auf ein paar große Gemälde, die Theresa schon beim Betreten des Zimmers aufgefallen waren. »Das sind seine Werke. Technisch hervorragend, doch er fand keinen eigenen Stil.«
Flora würde davon begeistert sein, dachte Theresa. Rembert hatte ein Stillleben gemalt, das eine Sammlung verschieden großer Goldkelche inmitten von Trauben, Äpfeln und Walnüssen zeigte.
Aber nicht nur einmal, sondern in fünf Variationen! Da hingen ein Pieter Claesz, ein Rembrandt, ein Rubens, ein van Gogh und ein Picasso. Perfekte Kopien eines Bildes, das es niemals gegeben hatte. Nun verstand sie, weshalb in seinem Geschäft alles bis ins kleinste Detail arrangiert gewesen war.
»Übrigens habe ich ihn am Samstagnachmittag besucht, um eines meiner Gemälde abzuholen, wir sind …« Tante Marie räusperte sich, bevor sie fortfuhr: »Wir waren trotz der Scheidung befreundet. Ich besitze noch einen Schlüssel für seine Werkstatt.
Für Notfälle. Ich habe Ihr Bild im Atelier gesehen.« Marie wandte sich an Theresa. »Es ist wunderschön. Paul sagte, dass es gestohlen wurde. Das tut mir leid.«
»Im Vergleich zu Ihrem Verlust …«, erwiderte Theresa, doch Marie unterbrach sie.
»Ist schon gut. Nein, das Gemälde ist etwas Besonderes.
Deshalb begann Rembert gleich mit der Arbeit. Sonst warteten Kunden oft monatelang. Bei schlechter Qualität musste er sich zusammenreißen, nicht das gesamte Bild neu zu malen.« Sie lächelte bei der Erinnerung daran. »Als ich kam, machte er gerade die Fotos für die Dokumentation …«
Theresa und Paul zuckten zusammen. »Welche Dokumentation?«, fragten sie gleichzeitig.
»Na, die Dokumentation seiner Arbeit. Er fotografierte und beschrieb jeden seiner Schritte, damit nachfolgende Restauratoren in 50, 100 Jahren alles rekonstruieren können. Rembert hatte eigene Checklisten dafür entwickelt, denen er streng folgte. Der Alkohol hat viel zerstört, aber nicht seine Arbeitsmoral und seine Genauigkeit.«
»Wo bewahrte er diese Dokumentationen auf?«, fragte Theresa und versuchte nicht aufgeregt zu klingen.
»Oben in seinem Atelier steht dieser kleine Biedermeierschrank.
In einer der Laden ist ein Geheimfach, dort legte er das Fotomaterial und die Mappe mit seinen Notizen hinein.« Wieder blickte sie traurig zur Aufnahme aus Ostia. »Die Fotos hat er mit einer Digitalkamera geschossen und sie auf seinem Laptop gespeichert. Beides sollte im Schrank sein, sofern es nicht auch gestohlen wurde.«
»Der Dieb hat sich nicht die Zeit genommen, alles zu durchsuchen. Laut Polizei schnappte er das, was in Reichweite war und flüchtete. Allerdings befürchte ich, dass die Beamten die Unterlagen, den Computer und die Kamera entdeckt und mitgenommen haben. Sollten sie jedenfalls«, sagte Paul.
»Außerdem ist die Wohnung versiegelt. Da werden wir an die Infrarotaufnahmen nicht rankommen«, ergänzte
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