Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kuppel des Himmels: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
Vom Netzwerk:
Neigung, in eines der öffentlichen Häuser der Stadt einzukehren, um bei Wein, Weib und Gesang seine Einsamkeit zu vergessen. Er wusste, dass es eine Dummheit war, Imperias Entscheidung auf sich zu beziehen. Dennoch tat er das Dümmste – er nahm ihre Entscheidung persönlich. Er fühlte sich abwechselnd gekränkt, beleidigt, gedemütigt, verhöhnt, zurückgestoßen, übergangen. Eine ganze Heerschar an Verletzungen marschierte in seinem Herzen auf, und das Banner, das ihr voranwehte, war das Banner des Grolls.
    Benommen lief er weiter durch die dösenden Gassen und stand plötzlich vor einer kleinen Klosterkirche. Er glaubte sich daran zu erinnern, dass in dem Kloster jene Nonnen des zweiten Ordens lebten, die der heiligen Klara nachfolgten. Die romanische Basilika wirkte trotz des Glockenturms mächtig und ausgesprochen wehrhaft, als wollte sie der vergehenden Zeit trotzen. Sacht schob er die schwere Eichentür auf. Das Kirchenschiff schimmerte im Licht der Kerzen. Bramantes Augen wanderten an den hohen Wänden nach oben und folgten der langen Reihe kleiner Bogenfenster unter dem Dach, die in ihrer Trutzhaftigkeit an Schießscharten erinnerten.
    Ein Detail fesselte seine Aufmerksamkeit und berührte ihn. Vom Fenstergesims stieß sich mit aller Kraft eine schwungvolle Steinwelle ab, die sich dem auf sie stürzenden Gebälk mutig entgegenstemmte und dem toten Mauerwerk Leben verlieh. Ihm schien, dass die Basilika ohne die tapferen Gewändschwünge, die sich erfolgreich gegen die Kraft des Himmels und des Schicksals wehrten, unter der Last des Weltalls zusammenbrechen müsste. Man musste bauen und gegenbauen, nicht nur Kraft abführen, sondern Kraft auch Kraft entgegensetzen, dachte er.
    Plötzlich drang ein Flüstern an sein Ohr. Er hielt inne, wandte sich nach rechts und entdeckte in der ersten Kapelle ein Mädchen, das vor einem Kreuz kniete, vor dem sich eine mit Mosaik eingefasste Fenestella befand. Er trat leise näher. Das Mädchen in dem grauen Umhang kam ihm bekannt vor. Bei näherem Hinsehen erkannte er Lucrezia, Imperias Tochter. Eine Weile betrachtete er stumm die kniende Gestalt, und allmählich, aber unaufhaltsam übertrugen sich seine feindseligen Gefühle Imperia gegenüber auf das Mädchen. Hass übermannte ihn. Warum sollte er sie nicht aus Rache verführen und damit Imperias Hoffnung zunichtemachen, für die sie ihn doch verlassen hatte? Warum sollte er sich nicht von der Tochter holen, was ihm die Mutter ihretwegen vorenthielt? Warum sollte er sie nicht aus Rache für den Verrat einfach zur Hure machen? Natürlich war das grausam, aber – zum Teufel! – das Leben kannte keine Rücksichten. Was man sich nicht nahm, überließ man einem anderen, und die Hölle kam sowieso zu früh. Man musste sich nur einen Vorrat an Erinnerungen schaffen, an dem man sich in der kalten Ewigkeit wärmen konnte.
    »Heilige Jungfrau Maria im Himmel, du sitzt zur Rechten deines Sohnes, schütze meine gute Mutter. Amen.« Hell klang die Stimme des Mädchens, unschuldig und rein. Wie der Anfang des Lebens.
    Bramante schämte sich für seine Gedanken. Was konnte Lucrezia für den Zustand der Welt? Hatte sie denn Rom geschaffen, die Stadt erfunden, war sie denn Gottes Berater? Mitnichten! So wie sie haben wir alle einmal gehofft, dachte Bramante. Waren wir denn nicht alle einst Kinder, schutzlos und der Anbeginn der Hoffnung? Doch dieses jämmerliche Leben hat uns schließlich verdorben und verroht, dachte er bitter. Was hat es nur aus uns gemacht? Tiere, die den lieben langen Tag nur auf die Befriedigung ihrer Triebe aus sind. Er kämpfte mit einem Brechreiz. Als Menschen werden wir geboren und enden doch als Vieh.
    Plötzlich empfand er Mitleid mit sich, denn er machte darin keine Ausnahme. Der Gedanke an das Kind, das er einmal war, erfüllte ihn mit väterlicher Liebe zu dem betenden Mädchen. Mit einem Mal fürchtete er, dass Pico in diesem Augenblick vom Himmel herabsah und Zeuge seines Frevels geworden war, seine Gedanken gehört hatte. Er schämte sich vor seinem toten Freund, vor dem Mädchen, vor sich und bekreuzigte sich unwillkürlich – wohl das erste Mal seit Jahrzehnten. Er wollte sich wegschleichen, doch sie hatte ihn bemerkt.
    »Messèr Donato!«
    Er sah auf das kniende Mädchen, das sich ihm in einer Drehung zuwandte, die er in ihrer Vollendung niemals zu Papier gebracht hätte. Der Blick, mit dem sie zu ihm aufschaute, ging ihm durch Mark und Bein. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Bramante die

Weitere Kostenlose Bücher