Die Kurtisane des Teufels
verließen sie endgültig die Kräfte. Mit einem gequälten Stöhnen sank sie in Ohnmacht. Bevor der Wirt der »Three Tuns Tavern« Essig bringen konnte, um die Bewusstlose wieder zu sich zu bringen, erwachte Sally jedoch und brach erneut in Tränen aus.
»Ich werde dich gesund pflegen, Jacky«, beteuerte sie und ergriff seine eisige Hand.
»Nein«, antwortete Finch mit schwacher Stimme, »geh nach Hause und bete dafür, dass ich am Leben bleibe. Ich vergebe dir. Aber wenn ich sterbe, musst du das Land verlassen, hörst du?« An den Herzog von Richmond gewandt, bat er: »Würdet Ihr die Freundlichkeit haben, Miss Salisbury eine Sänfte zu rufen, Euer Gnaden?«
»Natürlich, mein Freund«, stimmte Lennox zu.
Energisch nahm er Sally am Arm und führte sie und ihre Schwester Jenny hinaus. Als Colhart Finchs Wunde versorgt hatte, trug er dem Wirt auf, für den Verletzten ebenfalls eine Sänfte zu rufen und ihn nach Hause bringen zu lassen. Schließlich wandte sich der Chirurg Kitty zu, die sich, selbst einer Ohnmacht nahe, mit letzter Kraft auf ihrem Stuhl hielt.
»Wie steht es um Mr. Finch?«, fragte sie.
»Nicht gut«, erwiderte der Wundarzt, während er die Serviette entfernte und die Stichwunde in Kittys Arm begutachtete. »Das Messer hat Herz und Lunge verfehlt, aber wenn Wundbrand einsetzt, besteht keine Hoffnung mehr für ihn. Hm, Ihr habt Glück gehabt. Ihr braucht nur ein paar Stiche und ein wenig Bettruhe.«
Geschäftig holte Colhart Nadel und Faden aus seinem Bindfutter, wusch die Wunde mit Wein aus und begann, die Ränder mit geschickter Hand zusammenzunähen.
»Wenn Mr. Finch sterben sollte …«, sagte Kitty, um sich von dem Schmerz in ihrem Arm abzulenken. »Was passiert dann mit Miss Salisbury?«
»Sie wird hängen«, entgegnete der Chirurg ungerührt. »Wie es Kreaturen wie ihr zukommt.«
Kitty zuckte zusammen, als er sie mit abfälligem Blick musterte. Von seinem Gesicht war deutlich abzulesen, dass er zwischen ihr und Sally keinen Unterschied machte. Erschauernd wandte sie die Augen ab. Mit einem kräftigen Ruck verknotete der Wundarzt den Verband und erhob sich ohne ein weiteres Wort.
Zitternd ließ sich Kitty von Charles Lennox auf die Füße helfen und zu einer bereits wartenden Mietkutsche führen.
»Eine schlimme Sache«, murmelte er, als sich das Gefährt in Bewegung setzte. »Diesmal hat Sally das Glück verlassen.«
»Vielleicht wäre es wirklich besser, sie würde auf den Kontinent fliehen«, meinte Kitty.
»Fern von englischem Boden würde die kleine Sarah Prydden verdorren wie eine Rose in der Wüste. Nein, sie wird hierbleiben und sich den Konsequenzen ihres Handelns stellen. Man kann nur hoffen, dass der Richter Milde walten lässt.«
Am nächsten Morgen wurde Sally Salisbury wegen versuchten Mordes an dem ehrenwerten John Finch verhaftet und von einem Friedensrichter ins Newgate-Gefängnis überstellt. Dort musste sie auf ihren Prozess warten.
In ganz Covent Garden gab es kein anderes Gesprächsthema mehr. Sallys Angriff auf ihren Liebhaber war für manche, die ihr Temperament und ihre Vorliebe für Usquebaugh kannten, keine große Überraschung. Doch die Tragik der Ereignisse ging vielen ans Herz. John Finch stand an der Schwelle des Todes. Falls er sterben sollte, konnte niemand die gefeierte Kurtisane vor dem Galgen retten.
Mutter Grimshaw und ihre Mädchen verfolgten die Berichterstattung über den Fall ebenso eifrig wie der Rest der Londoner Bevölkerung. Arm und Reich nahm Anteil am Schicksal der jungen Frau, die jedermann kannte, vom Thronfolger bis zum Bettler.
Im Laufe des folgenden Januar schienen sich die Hoffnungen, dass der verwundete John Finch am Leben bleiben würde, zu bestätigen. Als Sally Salisbury im April im Sitzungshaus am Old Bailey vor Gericht stand, lautete die Anklage daher nur »Tätlicher Angriff und vorsätzlicher Mordversuch«. Obgleich Finch ihr vergeben hatte, ging es für Sally bei diesem Prozess um ihr Leben.
Kitty, die in Mutter Grimshaws Begleitung im Gerichtssaal unter den Zuschauern saß, hoffte trotz allem, dass ihre Rivalin glimpflich davonkommen möge. Die Wunde, die sie ihr zugefügt hatte, war gut verheilt. Nur eine kleine Narbe war zurückgeblieben. Glücklicherweise war es dem Herzog von Richmond gelungen, Kittys Namen aus der Sache herauszuhalten, so dass es ihr erspart blieb, gegen Sally auszusagen. Obwohl sich die Vertretung der Anklage bemühte, an der Kurtisane, dem Inbegriff der Verderbtheit, ein Exempel zu statuieren,
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