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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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seiner Herrin einbrachte.
    »Komm mit«, forderte Mutter Grimshaw ihn auf. »Unser italienischer Gast ist in meinem Haus nicht länger erwünscht.«
    Tapfer ging Kitty der Kupplerin und dem muskulösen Diener voraus. Die Tür zur »Kinderstube« stand halb offen. Als die junge Kurtisane sie aufdrückte, fiel ihr Blick auf Signor Martelli, der in seltsamer Haltung am Fenster stand. Um seinen Hals lag der Hanfstrick, dessen anderes Ende er am Riegel der Läden befestigt hatte. Seine Arme hingen schlaff herab, die Knie waren gebeugt, und nur die Fußballen berührten den Boden.
    Ein schreckliches Bild stieg in Kittys Erinnerung auf: der Leichnam der Straßendirne, die sich an der Tür der Zelle im Wachthaus von St. Pauls erhängt hatte. Entsetzt stieß sie einen gellenden Schrei aus.
    Mutter Grimshaw hastete an ihre Seite. »Allmächtiger!«, stieß sie hervor. »Dickon, hilf mir.«
    Der Diener umschlang den Italiener mit beiden Armen und hob den Körper an, so dass die Kupplerin ihm den Strick über den Kopf ziehen konnte. Vorsichtig legten sie Signor Martelli auf den Boden. Sein Gesicht war bleich, die Züge waren erschlafft. Speichel, der aus den Mundwinkeln geflossen war, bedeckte die blutleeren Lippen. Die blau verfärbte Zunge war zwischen den Zähnen eingeklemmt. Am Hals zeigte sich eine deutliche Strangfurche.
    »Er hat es getan!«, murmelte Kitty erschüttert. »Er hat es tatsächlich getan.«
    Wiederholt klatschte Mutter Grimshaws Hand auf die Wangen des Erhängten, ohne dass eine Reaktion erfolgte.
    »Dickon, hol Meister Hearne. Mach schnell!«, befahl die Matrone.
    Zögernd folgte der Diener der Aufforderung. Kitty sah, wie blass Mutter Grimshaw geworden war. Wenn der Italiener starb, waren sie alle verloren!
    »Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen«, murmelte die junge Frau schuldbewusst.
    »Für Selbstvorwürfe ist es zu spät«, gab die Kupplerin zurück. »Nimm dich zusammen, Kitty.«
    Die Kurtisane nickte schwach. Mit zitternden Händen füllte sie Wasser in die Waschschüssel, tauchte ein Leinentuch hinein und hockte sich neben Martelli, um ihm Stirn und Wangen zu kühlen.
    »Ich fühle keinen Herzschlag«, sagte Mutter Grimshaw düster. »Er ist tot.«
    »Und wenn Ihr Euch täuscht?«, rief Kitty verzweifelt. »Vielleicht kann Meister Hearne doch noch etwas für ihn tun.«
    Die Kupplerin antwortete nicht. Mit einem tiefen Seufzen strich sie sich mit der Hand über Stirn und Augen, als versuche sie, eine schreckliche Vision zu verscheuchen.
    »Wo bleibt Meister Hearne?«, fragte sie schließlich. »Er müsste längst hier sein. Dieser Nichtsnutz Dickon hat wahrscheinlich Muffensausen bekommen und sich davongemacht. Ich gehe wohl besser selbst.«
    Obwohl es Kitty mit Entsetzen erfüllte, dass sie allein mit dem Sterbenden zurückbleiben sollte, erhob sie keinen Einspruch. Eine Ewigkeit schien vergangen, als die Putzmacherin mit dem Wundarzt zurückkehrte. Meister Hearne untersuchte den Italiener, der sich die ganze Zeit über nicht gerührt hatte, und schüttelte den Kopf.
    »In diesem Mann ist kein Leben mehr«, verkündete er mit ernster Miene. »Es tut mir sehr leid, Madam Grimshaw.«
    Eine Weile herrschte ein lastendes Schweigen. Kitty und die Bordellwirtin blickten einander angstvoll an. Auf Meister Hearnes Zügen waren Verständnis und Mitgefühl zu lesen. Doch er konnte ihnen das Unvermeidliche nicht ersparen.
    »Mir bleibt keine Wahl, Madam. Ich muss den Konstabler unterrichten«, sagte er.
    »Ja, ich weiß«, antwortete Mutter Grimshaw und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
    Eine halbe Stunde später kehrte Meister Hearne mit einem Konstabler des Bezirks zurück. Der Ordnungshüter, der im normalen Leben Käsehändler war, stellte sich mit Namen John Hall vor und machte sich sogleich an die Untersuchung der Leiche.
    »Was ist hier passiert?«, fragte er in die Runde.
    »Signor Martelli kam kurz nach Mitternacht als Kunde zu uns«, berichtete Mutter Grimshaw.
    »Ihr führt dieses verrufene Haus, Madam?«, erkundigte sich der Konstabler abfällig.
    »So ist es. Aber ich habe noch nie Schwierigkeiten mit den Ordnungshütern gehabt«, verteidigte sich die Kupplerin nicht ohne Stolz.
    »Das tut nichts zur Sache. Erzählt weiter!«
    »Signor Martelli verlangte nach Miss Montague, die bereits mehrere Jahre für mich arbeitet und sich nie etwas hat zuschulden kommen lassen …«
    Halls abschätziger Blick wanderte zu Kitty, die unter der Verachtung, die deutlich darin zu lesen war,

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