Die Kurtisane des Teufels
Sie sind nicht die Ersten, die derartige Strafen verbüßen. Die meisten Kupplerinnen machen danach weiter wie bisher. Denkt jetzt nur an Euch. Wenn es etwas Neues gibt, suche ich Euch wieder auf. Falls Ihr etwas braucht, lasst es mich wissen. Hier ist meine Karte.«
»Ich danke Euch. Tatsächlich gibt es da etwas, was Ihr für mich tun könnt«, gestand Kitty.
»Sagt mir, was Euch auf dem Herzen liegt.«
»Könntet Ihr Euch vergewissern, dass es meiner Tochter gutgeht? Ich hatte keine Gelegenheit, nach ihr zu sehen, bevor …«
Kittys Stimme versagte. Beschwichtigend legte der junge Advokat ihr die Hand auf den Arm.
»Seid unbesorgt. Ich werde mich darum kümmern.«
34
Die Leichenschau verlief, wie Robinson es vorhergesagt hatte. Man befand, dass Mr. Martelli eines gewaltsamen Todes durch Erhängen gestorben war. Unentschieden blieb, ob er seinen Tod selbst herbeigeführt oder Opfer eines Verbrechens geworden war. Der Fall wurde an ein höheres Gericht verwiesen.
Am Folgetag erschien erneut der Schließer in Kittys Zelle und teilte ihr mit, dass ihr Anwalt sie zu sprechen wünsche. Bedrückt begab sich die junge Frau in den Saal. Stephen Robinsons Miene verhieß nichts Gutes.
»Was ist passiert?«, fragte Kitty, die eine unheilvolle Ahnung überkam.
»Ein schreckliches Unglück, Madam«, begann der Advokat, der ganz aufgelöst wirkte. »Gestern um die Mittagszeit stellte man Mutter Grimshaw an den Pranger von Covent Garden. Eine große Menge hatte sich eingefunden, um sie zu sehen. Die Stimmung war ausgelassen, aber keineswegs feindselig. Es stellte sich jedoch heraus, dass sich unter den Zuschauern auch einige Eiferer befanden, die vermutlich von einem Konstabler der Gesellschaft zur Reformation der Sitten aufgehetzt worden waren. Neben Eiern und Kohlblättern flogen auch einige Steine durch die Luft. Einer davon traf Madam Grimshaw am Kopf. Als man sie befreite, war sie bereits bewusstlos. Man brachte sie ins Bridewell zurück und rief einen Wundarzt. Doch sie starb während der Nacht. Es tut mir sehr leid.«
Kitty schlug die Hand vor den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Das konnte nicht wahr sein! Mutter Grimshaw tot? Die Gevatterin war ihr in den letzten Jahren zur Freundin geworden, auf deren Beistand sie sich verlassen konnte. Mit ihrem Tod brach alles, was sich Kitty aufgebaut hatte, wie ein Kartenhaus zusammen.
»Entschuldigt mich«, murmelte sie und wandte sich ab.
Wie in einem Zustand der Betäubung verließ sie den Saal und blieb orientierungslos an der Tür stehen.
»Kitty!«, rief eine Stimme, die ihr vertraut war. Sie musste jedoch einen Moment nachdenken, bevor sie sie zuordnen konnte. Verblüfft wandte sie sich um.
»Jonny!«, stieß sie hervor. Ein Anflug von Freude verdrängte für einen Augenblick die Trauer. »Was machst du hier?«
Über die Jahre hatte sie dem Fackelträger stets Geld zugesteckt, wenn er ihr über den Weg gelaufen war, doch während der letzten Monate hatte sie ihn immer seltener in den Gassen um Covent Garden gesehen. Nun erschien er ihr älter als seine zehn Jahre. Sein schmales Gesicht unter dem Schopf struppigen braunen Haares hatte sich kaum verändert, doch in seinen Augen lag ein Ausdruck, als habe er in seinem jungen Leben bereits zu viel Elend gesehen.
»Ich habe mich beim Schlupfen erwischen lassen«, gestand Jonny beschämt. Seine Zerknirschung bezog sich dabei offensichtlich nicht darauf, dass er zum Dieb geworden war, sondern dass man ihn geschnappt hatte.
»Wieso stiehlst du?«, fragte Kitty vorwurfsvoll. »Warum bist du nicht zu mir gekommen, wenn du Geld brauchst?«
Herausfordernd sah der Junge sie an. »Ich kann dir nicht für immer auf der Tasche liegen, Herzchen«, erklärte er hochmütig. »Ich habe neue Freunde gefunden, die mich Jonathan Wild vorgestellt haben. Für ihn arbeite ich jetzt. Er holt mich hier heraus, wirst schon sehen.«
»Ach Jonny, wie konntest du dich nur in die Hände dieses Teufels begeben?«, entfuhr es Kitty. Sie seufzte tief. »Weißt du denn nicht, dass Jonathan Wild seine Diebe und Gauner nur ausnutzt? Sobald sie ihm nicht mehr dienlich sind, opfert er sie dem Henker. Dir wird es irgendwann ebenso ergehen.«
»Und woher willst du das wissen?«, fragte Jonny zweifelnd.
»Vor langer Zeit kannte ich einen von Wilds Räubern, der mir viel über den ›aufrichtigen‹ Jonathan erzählt hat.«
»Trotzdem glaube ich nicht, dass er mich im Stich lassen wird. Er hat mir selbst gesagt, wie sehr er mich
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