Die Kurtisane des Teufels
mittleren Liegestatt saß eine feingekleidete Frau, die bei ihrem Eintreten entrüstet auf die Füße sprang. Überrascht erkannte Kitty Sally Salisbury.
»Was will die Schlampe hier?«, rief Sally empört und deutete auf ihre Rivalin.
»Miss Montague wird fortan Eure Räumlichkeiten teilen«, belehrte sie Mistress Pitt. »Einzelzimmer gibt es bei uns nicht, Madam. Findet Euch damit ab.«
»Aber …«
Ohne Sallys Antwort abzuwarten, verließ die Frau des Kerkermeisters den Raum und entfernte sich. Kitty meinte, ein boshaftes Lächeln auf ihren Lippen zu sehen. Die Feindschaft der beiden Kurtisanen war stadtbekannt. Mistress Pitt mochte es als amüsanten Streich ansehen, die Frauen zusammen in einen Käfig zu sperren.
Kitty versuchte, die feindseligen Blicke der anderen zu ignorieren, und setzte sich auf das Bett links von ihr. Sie fühlte sich erschöpft und leer. Würde ihr das Schicksal denn nichts ersparen? War es ihr vorbestimmt, unschuldig am Galgen zu enden wie ihr Bruder?
Ein herzzerreißendes Schluchzen neben ihr riss Kitty aus ihren düsteren Gedanken. Erstaunt wandte sie sich um und sah Sally mit bebenden Schultern auf ihrem Bett sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben. War es möglich, dass die Haft die starke, unverwüstliche Sally Salisbury gebrochen hatte? Nach kurzem Zögern erhob sich Kitty und trat zu ihrer Rivalin.
»Es wird alles gut«, sagte sie tröstend, als spräche sie zu einem Kind.
»Das sagen sie mir alle«, erwiderte Sally. »Dass ich nur geduldig sein muss und bald wieder entlassen werde. Aber ich ertrage das Eingesperrtsein nicht länger …«
Ein Hustenanfall schnitt ihr das Wort ab. Kitty musste an Betty denken, die an der Franzosenkrankheit gestorben war. Und auf einmal verstand sie die Ängste der anderen.
Als Sally wieder zu Atem gekommen war, fragte sie, ohne Kitty anzusehen: »Weshalb bist du hier?«
Kitty setzte sich zu ihr aufs Bett. »Ich bin des Mordes angeklagt.«
Erstaunt hob Sally den Blick zu ihrer Rivalin und sah sie ungläubig an. »Wen sollst du denn umgebracht haben?«
»Einer meiner Freier hat sich erhängt, während ich den Raum verlassen hatte«, erklärte Kitty. »Er glaubte, nur auf diese Weise Befriedigung erlangen zu können.«
Ein höhnisches Lachen brach aus Sally hervor. »O diese dummen Männer! Was stellen sie alles an, nur um den Rausch der Wollust zu erleben!« Das Lachen verstummte ebenso plötzlich, wie es aufgeflammt war. »Wann ist dein Prozess?«, fragte Sally, und zu Kittys Überraschung schwang deutliches Mitgefühl in ihrer Stimme.
»Das weiß ich noch nicht. Es ist erst gestern passiert.«
»Ich wünsche dir, dass es dir besser ergeht als mir. Schließlich habe ich mein Unglück selbst verschuldet.«
»Euer Anwalt erwartet Euch im großen Saal«, verkündete einer der Schließer.
Überrascht erhob sich Kitty von der Liegestatt. Schon nach einer Nacht im Gefängnis fühlte sie sich schmutzig, obwohl der Raum täglich ausgewischt wurde und die Laken sauber waren. Doch es gab kein Wasser zum Waschen, und der Gestank des nahen Kerkers drang durch die Fenster auch in diesen Bereich des Newgate.
»Seid Ihr sicher, dass er mich zu sprechen wünscht?«, fragte Kitty, die keinen Anwalt erwartete.
»Aber sicher, Herzchen. Offenbar versäumen Eure Verehrer keine Zeit, Euch zu Hilfe zu eilen«, spottete der Schließer, ohne seine Bewunderung verbergen zu können.
»Also gut. Führt mich zu diesem Anwalt.«
Von plötzlicher Hoffnung erfüllt, folgte Kitty dem Mann die schmale Treppe hinab ins Erdgeschoss. Wie schon bei ihrem ersten Besuch hatte Kitty den Eindruck, dass das Gefängnis mehrere hundert Menschen beherbergte, so überfüllt wirkte es.
Einige der Gefangenen lagen in den verschiedenen Abteilungen auf Strohschütten oder dem blanken Boden, andere liefen wie Schlafwandler umher, wieder andere versammelten sich in der Schenke im Untergeschoss, von wo ihr trunkenes Grölen heraufschallte. Es gab Männer und Frauen in Seide und feinem Tuch und Bettler in zerschlissenen Lumpen. Manche trugen nicht einmal mehr genug auf dem Leib, um ihre Blöße zu bedecken.
Als der Schließer Kitty an dem Fenster vorbeiführte, durch dessen Gitter die mittellosen Gefangenen von den Passanten Almosen erbetteln durften, musste sie an den Tag zurückdenken, als sie Susannah aufgesucht hatte. Damals hatte sie einem Unbekannten einen Penny in die magere Hand gedrückt. Nun sah sie in die Gesichter der Unglücklichen.
Ihr Blick fiel auf einen
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