Die Kurtisane des Teufels
Abteilung.
Erschrocken blieb Kitty stehen. Die Wüstlinge hatten sie im Halbdunkel des Treppenlaufs nicht bemerkt. Mit wild schlagendem Herzen stand Kitty einen Moment wie gelähmt da. Sie wusste nur zu gut, was ihrer Zellengenossin bevorstand. Am ganzen Körper zitternd, ging Kitty die restlichen Stufen hinab und blieb an der Gittertür stehen, durch die Sally gezerrt worden war. Sie brachte es nicht über sich, ins Innere des Raumes zu sehen, doch sie hörte die anfeuernden Rufe der Männer, ihr lustvolles Keuchen und die halberstickten Schreie der vergewaltigten Frau. Die lang verdrängte Erinnerung an Francis Charteris kehrte schmerzvoll in Kittys Gedächtnis zurück und ließ sie an den Rand einer Ohnmacht gleiten. Mühsam hielt sie sich aufrecht. Ein Teil von ihr wollte Sally zu Hilfe eilen, doch ein anderer mahnte sie zur Flucht, wenn sie nicht selbst zum Opfer werden wollte.
Nachdem die drei Männer sich nacheinander an der Kurtisane vergangen hatten, verließen sie den Raum und traten auf den Gang hinaus. Starr vor Angst an die Wand gepresst, war Kitty nicht fähig, sich zu rühren. Wie durch ein Wunder bemerkten die Burschen sie nicht, als sie sich in Richtung Trinkstube entfernten. Doch es dauerte noch eine ganze Weile, bevor Kitty die Gewalt über ihre Glieder zurückgewann und sich von der schützenden Steinmauer lösen konnte.
Vorsichtig betrat sie den Raum, in dem Sally benommen auf dem schmutzigen Boden lag. Erst jetzt bemerkte Kitty die anderen Gefangenen, die teilnahmslos auf ihren Pritschen lagen. Sie waren Zeuge des schrecklichen Geschehens geworden, doch keiner hatte einen Finger gerührt, um Sally zu helfen. Vielleicht hatten sie sogar genussvoll zugesehen.
»Steh auf«, beschwor Kitty ihre Zellengenossin. Den Arm um Sallys Taille gelegt, bemühte sich Kitty, sie auf die Füße zu ziehen. »Du musst aufstehen!«
Willenlos gehorchte die Kurtisane und ließ sich die Treppe hinaufführen. Als Kitty Sally auf ihrer Bettstatt absetzte, fiel diese zu einem erbarmungswürdigen Häufchen Elend zusammen. Ihr Körper wurde von Schluchzern geschüttelt. Hilflos streichelte Kitty ihr sanft über das zerzauste Haar.
»Was ist los? Ist sie krank?«, fragte eine Stimme von der Tür her.
Kitty hob den Kopf und sah einen der Schließer auf der Schwelle stehen.
»Wenn Ihr Euch nützlich machen wollt, holt eine Flasche Brandy aus der Trinkstube«, sagte sie unfreundlich.
»Das kostet Euch drei Schillinge«, forderte der Schließer.
Kitty warf ihm die Münzen zu. »Fahrt zur Hölle!«
»Für eine Umarmung und einen Kuss von einer heißen Schlampe wie dir gerne«, gab der Mann lachend zurück und verschwand.
Als er mit dem Brandy zurückkehrte, nahm Kitty die Flasche entgegen und beachtete ihn nicht weiter. Brummend verließ er die Zelle, und die junge Frau atmete erleichtert auf. Solange sie sich im Gefängnis aufhielt, würde sie stets Gefahr laufen, eines Tages dasselbe Schicksal zu erleiden wie Sally. Sie brauchte einen Beschützer.
Während Kitty ihrer Zellengenossin einen Becher Brandy einflößte, zerbrach sie sich den Kopf, was sie tun sollte. Flüchtig dachte sie daran, Jonathan Wilds Angebot anzunehmen. Niemand würde es wagen, sie anzurühren, wenn sie unter dem Schutz des gefürchteten Diebesfängers stand. Doch allein die Aussicht, Wild wiederzusehen, ließ sie bis ins Mark erstarren. Wie könnte sie sich mit dem Mörder ihres Bruders einlassen?
Am nächsten Morgen klopfte jemand an die Zellentür, die Kitty nun stets geschlossen hielt, auch wenn es der Frau des Kerkermeisters nicht gefiel. Es war Jonny.
»Ich habe mich nach dem Herkules erkundigt, der es dir angetan hat«, berichtete er. »Sein Name ist Samuel Drake. Er arbeitete lange Zeit als Schreiner, doch als seine Frau starb, geriet er in Schulden und musste die Werkstatt aufgeben. Eine Weile schlug er sich mit Gelegenheitsarbeit durch, zuletzt als Sänftenträger, aber seine Schulden wuchsen ihm immer mehr über den Kopf, und so landete er schließlich im Schuldgefängnis. Ohne die Almosen, die er am Gitter erbettelt, wäre er längst verhungert.«
Nachdenklich strich sich Kitty übers Kinn. »Du sagtest doch, dass einer deiner Kumpel dich regelmäßig hier besucht, nicht?«
»Ja«, bestätigte Jonny. »Das Getümmel im großen Saal zur Besuchszeit ist für jeden Langfinger verlockend.«
»Würde er dir einen Gefallen tun?«
»Kommt drauf an.«
»Wenn ich dir Geld gebe, kann er Mr. Drake neue Kleider besorgen?«
Der Junge
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