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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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    Als die Hauswirtin gegangen war, wusch sich das Mädchen und kleidete sich an. In der Küche war ein junger Mann damit beschäftigt, Brotscheiben über dem Feuer zu rösten. Als sie ihm einen guten Morgen wünschte, bot er ihr eine der langen Gabeln an, die zu diesem Zweck bereitlagen. Er erzählte ihr, dass er bei einem Tabakhändler auf der Bartholomew Close in der Nähe des Hospitals arbeitete, und versuchte, sie in eine Unterhaltung zu verwickeln. Doch Kitty dachte an den Besuch bei Jonathan Wild, der ihr bevorstand, und hörte ihm nur mit halbem Ohr zu. Gleichzeitig ertappte sie sich dabei, wie sie ihn mit Daniel Gascoyne verglich. Ihm konnte der junge Gehilfe des Tabakwarenhändlers nicht das Wasser reichen.
    Als Kitty gesättigt war, verabschiedete sie sich und verließ das Haus. Auf der Straße hielt sie kurz inne und sah sich um. Gegenüber lehnte ein Knabe in zerlumpten Kleidern an einer Hauswand. Als er sie sah, richtete er sich plötzlich auf und rannte davon. Kitty dachte sich nichts dabei und machte sich auf den Weg zum Snow Hill.
    Ein wenig mulmig war ihr schon zumute, als sie sich der Little Old Bailey näherte. Trotzig reckte sie den Kopf, als wolle sie sich selbst Mut machen, und schritt entschlossener aus, als sich auf einmal eine Hand um ihren Arm legte und sie festhielt. Erschrocken fuhr sie herum und blickte in Daniel Gascoynes ausdrucksvolles Gesicht. Ihr Herz schlug unwillkürlich schneller.
    »Ihr nehmt von anderen wohl keine Ratschläge an«, sagte er in vorwurfsvollem Ton, der sie sogleich ärgerte.
    »Woher wisst Ihr …«, stammelte sie überrascht.
    »… dass Ihr die Absicht habt, Jonathan Wild aufzusuchen? Rory erwähnte, dass Ihr nach seiner Adresse gefragt habt. Aber eigentlich wusste ich es vorher schon. Ich las es in Euren Augen, als wir uns gestern Abend verabschiedeten.«
    »Ich verstehe«, erwiderte sie gereizt. »Und dieser Junge vor dem Haus war wohl Euer Spitzel, der Euch Nachricht bringen sollte, sobald ich mich auf den Weg machte.«
    »Ihr habt eine wache Beobachtungsgabe«, entgegnete Daniel anerkennend.
    »Glaubt nur nicht, dass Ihr mich davon abhalten könnt, Mr. Wild aufzusuchen. Ich muss wissen, was mit meinem Bruder geschehen ist. Ich habe außer ihm niemanden mehr auf der Welt. Begreift Ihr das nicht?«
    »Zuweilen ist es besser, schlafende Hunde nicht zu wecken«, gab Daniel zurück.
    »Ihr sprecht in Rätseln, Sir. Und nun lasst mich los!«, forderte Kitty, da er ihren Arm noch immer umklammert hielt.
    »Ich denke nicht daran. Jemand muss Euch zur Vernunft bringen, bevor Ihr Euch ins Unglück stürzt!«
    Entrüstet riss sie sich los, doch seine Hand legte sich nur umso fester um ihr Handgelenk. Entschlossen versuchte sie, sich aus seinem schmerzhaften Griff zu winden.
    »Ihr seid eine rechte Wildkatze«, rief er aus. Seufzend fügte er hinzu: »Ihr wollt es also nicht anders. Kommt mit! Ich bringe Euch zu Eurem Bruder.«
    Verblüfft gab sie ihren Widerstand auf. »Wisst Ihr denn, wo er ist?«
    »Bedauerlicherweise, ja«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
    Der ernste Ausdruck auf seinem Gesicht machte ihr Angst. Ohne ihr Handgelenk loszulassen, wandte er sich ab und zog sie mit sich. Willenlos folgte ihm Kitty. Auf dem Smithfield-Markt, der erfüllt war von aufgewirbeltem Staub, dem Gestank frischen Blutes und den Todesschreien der Tiere, mietete Daniel eine Kutsche und bat den Fahrer, sie zum Hyde Park zu bringen. Verwundert stieg Kitty ein. Der Kutscher knallte mit der Peitsche, und der Hackney setzte sich knirschend und polternd in Bewegung.
    »Ist der Park weit von hier?«, fragte Kitty unbehaglich, um das Schweigen zu brechen, das zwischen ihnen entstanden war.
    »Zu weit, um dorthin zu laufen«, erwiderte Daniel mit düsterer Miene.
    »Ich verstehe nicht, weshalb Ihr mich da hinbringt. Ich dachte, wir fahren zu meinem Bruder.«
    »Das tun wir. Habt noch ein wenig Geduld.«
    Mit einem Gefühl der Beklemmung sah das Mädchen aus dem Fenster der Mietkutsche. Zuerst folgte das Gefährt dem Weg, den sie bereits am Vortag gegangen war. Doch anstatt in die Drury Lane einzubiegen, fuhr der Hackney weiter den Holborn entlang und erreichte schließlich einen Hohlweg, der zu beiden Seiten von Feldern gesäumt war.
    Als vor ihnen ein von einer Mauer umgebenes Gelände auftauchte, zügelte der Kutscher die Pferde und rief: »Zu welchem Tor wollt Ihr, Sir?«
    »Zum Hyde-Park-Tor«, antwortete Daniel.
    Daraufhin bog der Hackney links ab

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