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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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doch besser als sein Ruf! Vielleicht war Daniel Gascoyne ihm gegenüber voreingenommen und hatte ihn deshalb in ein derart schlechtes Licht gestellt. Das Verlangen, die Wahrheit über Wilds Verwicklung in den Tod ihres Bruders zu erfahren, wurde durch diese Erkenntnis nur umso drängender. Von frischem Mut erfüllt, ergriff Kitty den bronzenen Türklopfer in Gestalt eines Löwenkopfs und klopfte zweimal an.
    Ein Lakai in goldverbrämter Livree und gepflegter Perücke öffnete die Tür und erkundigte sich nach ihrem Begehr.
    »Mein Name ist Catherine Marshall«, stellte Kitty sich vor. »Ich würde gerne mit Mr. Wild sprechen.«
    »Mr. Wild hat Besuch, Madam, und kann daher zurzeit niemanden empfangen«, erwiderte der Lakai steif.
    »Es ist äußerst dringend«, beharrte Kitty. »Ich muss Euren Herrn unbedingt heute noch sehen.«
    Der Diener zögerte. »Einen Moment bitte.«
    Sorgfältig schloss er die Tür. Kitty musste nicht lange warten. Als der Lakai zurückkehrte, teilte er ihr mit, dass sie am Abend gegen sieben Uhr zurückkehren solle. Obwohl dem Mädchen nicht wohl dabei war, so spät noch durch die Gassen von Smithfield gehen zu müssen, stimmte sie zu.
    Nun blieb ihr nichts anderes übrig, als die Zeit bis zu ihrer Verabredung totzuschlagen. Gerne hätte sie Daniel Gascoyne wiedergesehen, doch da sie wusste, dass er ihren Besuch bei Jonathan Wild nicht gutheißen würde, war es besser, wenn er nichts von ihren Plänen erfuhr.
    Schließlich verbrachte Kitty die Wartezeit im Haus »Zum Vogelkäfig« und machte sich am Abend erneut zur Little Old Bailey auf. Zum Glück stand die Sommersonnenwende kurz bevor, so dass es lange hell blieb.
    Diesmal ließ der Lakai, der auf Kittys Klopfen die Tür öffnete, sie ohne Zögern eintreten und führte sie in eine prunkvoll eingerichtete Studierstube. Die Wände waren mit karmesinroter Papiertapete beklebt, die Decke war mit weißem Stuck geschmückt, und den Holzboden bedeckten orientalische Teppiche. An einem mit Schnitzereien versehenen Schreibtisch saß der Hausherr in einem gepolsterten, mit Damast bezogenen Armlehnstuhl. Vor ihm stapelten sich eng beschriebene Papiere. Ein Tintenfass, Gänsefedern, ein Messer zum Beschneiden derselben und Sand zum Löschen der Tinte lagen ebenfalls bereit sowie ein silberner Stab, wie ihn manche städtische Amtsträger besaßen. Es war die Schreibstube eines vielbeschäftigten Mannes. In dieser Hinsicht hatte Moll King keineswegs übertrieben.
    Als Kitty eintrat, erhob sich der Diebesfänger mit einem Willkommenslächeln und nahm zur Begrüßung ihre Hand.
    »Es ist mir eine Freude, Euch kennenzulernen, Mistress Marshall«, sagte Jonathan Wild mit unverkennbarem Staffordshire-Akzent. »Was kann ich für Euch tun?«
    Kitty wusste nicht so recht, wie sie das Thema, das ihr am Herzen lag, anschneiden sollte, und betrachtete den Mann vor ihr unschlüssig. Er war ein wenig kleiner als sie, etwa fünf Fuß sechs Zoll, von stämmigem, untersetztem Körperbau, und besaß ein breites, eckiges Gesicht mit wachen Augen, deren eindringlichem Blick nichts zu entgehen schien. Wild hatte seine Perücke abgelegt und trug stattdessen einen Turban auf seinem rasierten Schädel, dazu einen Hausmantel aus Callimanco und bestickte Hausschuhe. Das Lächeln, mit dem er sie zum Weiterreden ermunterte, entbehrte nicht eines gewissen Charmes, der es Kitty noch schwerer machte, auf ihren Bruder zu sprechen zu kommen.
    »Nun, da dies Euer erster Besuch bei mir ist, Madam«, sagte Jonathan Wild verständnisvoll, »würde ich Euch gerne meine Sammlung an Kuriositäten zeigen, die ich in den Jahren meiner überaus erfolgreichen Tätigkeit zusammengetragen habe.«
    Kitty nickte zustimmend, erleichtert, ihr eigentliches Anliegen noch ein wenig hinausschieben zu können. Der Diebesfänger war ihr nicht unsympathisch, und sie verstand nun, weshalb die Dame, die ihn am Nachmittag mit ihrer Kutsche vor seinem Haus abgesetzt hatte, so erpicht darauf gewesen war, ihm seine Mühe zu vergelten. Wilds Charisma musste eine besondere Wirkung auf die Menschen ausüben, denen er begegnete.
    Geflissentlich führte der Diebesfänger seine junge Besucherin in eine anschließende kleine Kammer, deren Wände mit Schränken, Vitrinen und Regalen vollgestellt waren, in denen man gewöhnlich wertvolle Bücher aufbewahrte. Wilds Sammlung dagegen bestand aus den merkwürdigsten Artefakten. Trophäen nannte er sie. Er zeigte ihr einen zu einer Schlinge geknüpften Strick und berichtete,

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