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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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sah sie eindringlich an. »Ihr solltet Euch ernsthaft überlegen, wieder in Eure Heimatstadt zurückzukehren. Dies ist kein Ort für Euch.«
    Sie antwortete nicht, starrte nur durch das Fenster des Hackney in die grauen Regenschleier hinaus. Als die Mietkutsche vor dem Haus »Zum Vogelkäfig« hielt, fragte sie: »Was schulde ich Euch?«
    »Ihr meint für die Fahrtkosten? Gar nichts«, wehrte er ab. »Es tut mir leid. Ich hätte Euch die Wahrheit lieber schonender beigebracht, Mistress Marshall, aber ich musste Euch begreiflich machen, dass Ihr Euch von Jonathan Wild fernhalten müsst.«
    Sie nickte ihm zu und verließ dann die Kutsche. Mit dem Schlüssel, den Mistress Speering ihr gegeben hatte, falls sie einmal nicht zu Hause sein sollte, öffnete sie die Tür und stieg wie im Traum die Stufen zu ihrer Kammer hinauf. Vor dem prächtigen Kamin blieb sie stehen, leer, ausgebrannt … doch irgendwann stieg die Trauer in ihr Herz und presste es so heftig zusammen, dass sie das Gefühl hatte, vor Qual ohnmächtig zu werden. Und dann begannen die Tränen zu fließen, und ein tiefes Schluchzen erschütterte ihre Brust. Verzweifelt warf sie sich aufs Bett und weinte bitterlich, bis sie erschöpft war und ihre Augen brannten. Eine Weile lag sie kraftlos da und beschwor die Erinnerungen aus Kindertagen, aus der Zeit, da Thomas oftmals seinen Schabernack mit der jüngeren Schwester getrieben hatte. Hinterher hatte es ihm immer leidgetan, und er hatte ihr kleine Geschenke gemacht, um sie zu versöhnen. Nun würde sie ihn nie wiedersehen, nie wieder dem schalkhaften Blick seiner blauen Augen begegnen, nie wieder sein um Verzeihung bittendes Lächeln sehen. Er war tot! Und sie war allein!
    Allmählich wandten sich ihre Gedanken den mysteriösen Umständen zu, unter denen Thomas den Tod gefunden hatte. Weshalb hatte der Diebesfänger Jonathan Wild ihren Bruder des Straßenraubs bezichtigt? Sie kannte Thomas zu gut, um auch nur die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, die Anschuldigungen könnten der Wahrheit entsprechen. Ihr Bruder war ein anständiger Mensch gewesen und hätte niemals Diebstahl oder Betrug gutgeheißen. Wie also war er in Wilds Fänge geraten?
    Kitty wurde klar, dass sie keinen Frieden finden würde, solange sie die Antwort auf diese Frage nicht kannte. Sie musste diesen geheimnisvollen Jonathan Wild zur Rede stellen.
    Entschlossen erhob sich das Mädchen vom Bett und benetzte ihr verweintes Gesicht mit Wasser aus dem Zinnkrug, bis das Brennen ihrer Augen sich legte. Dann ordnete sie ihr Haar, setzte ihren Strohhut auf und verließ die Kammer. Nun, da sie eine Entscheidung gefällt hatte, empfand Kitty trotz Daniel Gascoynes wiederholter Warnungen keine Angst. Wenn Mr. Wild sich weigerte, sie zu empfangen, würde sie so lange vor seinem Haus ausharren, bis er es tat.
    Inzwischen war es Nachmittag, doch Kitty verspürte trotz ihres leeren Magens keinen Hunger. Sie hätte ohnehin keinen Bissen herunterbekommen, so sehr gärten Wut und Verzweiflung in ihr und stiegen ihr bitter in die Kehle.
    Den Weg zur Little Old Bailey brachte das Mädchen in kurzer Zeit hinter sich. Der Himmel war noch immer bewölkt, doch es regnete nicht mehr. Als sie die Schenke »The Cooper’s Arms« erreicht hatte, blieb sie stehen. Den Angaben der Sänftenträger zufolge musste das nächste Haus das des Diebesfängers sein. Kitty fasste sich ein Herz und wollte gerade weitergehen, als eine Kutsche vor dem Gebäude hielt. Ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, gut gekleidet und mit Lockenperücke, stieg aus, schloss den Schlag hinter sich und wandte sich noch einmal zu der vornehmen Dame um, die sich mit eindringlicher Miene durch das Fenster zu ihm hinausbeugte.
    »Ich bitte Euch, Mr. Wild, nehmt wenigstens zehn Guineen als Entschädigung für Eure Mühe an«, beschwor sie ihn. »Ohne Euch hätte ich den Bankscheck meines Mannes nie zurückerhalten und wäre jetzt mittellos. Ihr habt mich vor dem Ruin gerettet.«
    »Nein, Madam«, lehnte Wild höflich ab. »Weder zehn Guineen noch zehn Farthings kann ich von Euch annehmen. Ich verabscheue jegliche Art von Betrug. Der einzige Lohn, den ich mir wünsche, Madam, ist die Anerkennung von Eurer Seite, dass ich wie ein Ehrenmann gehandelt habe.«
    Ehe die vornehm gekleidete Dame etwas erwidern konnte, verbeugte sich Wild vor ihr und betrat sein Haus.
    Kitty war viel zu überrascht, um ihn anzusprechen. Das kurze Gespräch, das sie mitgehört hatte, verwirrte sie. Offenbar war Jonathan Wild

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