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Die Kurtisane des Teufels

Die Kurtisane des Teufels

Titel: Die Kurtisane des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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beobachtet zu werden. Zum Glück war Helen ein stilles Kind, das kaum schrie, sonst hätte sie so manche Verwünschung über sich ergehen lassen müssen. Dabei ging es in dem Logierhaus alles andere als ruhig zu. Überall hustete, röchelte, schniefte oder schnarchte jemand.
    Decken gab es nicht, so dass den Schlafenden nichts anderes übrigblieb, als die Kleider anzubehalten. Allerdings verspürte Kitty nicht das geringste Verlangen, sich an diesem alptraumhaften Ort auszuziehen. Als sie mit der Hand über den Strohsack tastete, spürte sie, wie die darin hausenden Flöhe gegen ihre Handfläche sprangen. Bisher war es ihr gelungen, sich sogar in Mistress Symons wenig sauberer Dachkammer von Ungeziefer freizuhalten, doch damit war es nun wohl vorbei. Auf Bettys Rat hin zog sie die Schuhe aus und benutzte sie als Kopfkissen. So konnten sie nicht so leicht gestohlen werden.
    Wie zu erwarten, tat Kitty während der Nacht kaum ein Auge zu. Nachdem sie doch endlich eingeschlafen war, erwachte sie plötzlich mit einem Gefühl des Erstickens. Ein schweres Gewicht lag auf ihr und presste ihr den Brustkorb zusammen. Zuerst glaubte sie, der Schläfer neben ihr habe sich unabsichtlich auf sie gerollt, doch dann spürte sie eine Hand, die sich unter ihren Rock zwischen ihre Schenkel schob. Ein feuchter, übel riechender Mund streifte ihre Wange und drückte sich auf ihre Lippen. Von Abscheu geschüttelt, wandte sie den Kopf zur Seite und versuchte, den Mann mit den Händen von sich herunterzuwälzen.
    »Lasst mich!«, keuchte sie.
    »Hab dich nicht so, Kleines«, murmelte er genüsslich.
    Im nächsten Moment fühlte Kitty eine Bewegung auf ihrer rechten Seite, auf der Betty lag. Dann ertönte ein Knall, und der Mann schrie vor Schmerz auf. Die Hökerin hatte ihm ohne Vorwarnung mit der Faust gegen die Schläfe geschlagen.
    »Wenn du sie noch einmal anfasst, breche ich dir das Genick!«, zischte Betty. »Hast du verstanden?«
    »Ja, doch«, murmelte der Wüstling kläglich und zog sich zurück.
    An Kitty gewandt, sagte Betty eindringlich: »Wenn du überleben willst, musst du lernen, deine Kraft nicht mit unnützem Flehen zu vergeuden, sondern gleich zuzuschlagen, Mädchen.«
    Der Rest der Nacht blieb ereignislos. Früh am Morgen verließen die Frauen das Logierhaus und machten sich auf den Weg nach Covent Garden.
    »Der Vorfall heute Nacht war dir hoffentlich eine Lehre, Kitty«, sagte die Hökerin streng. »Benimm dich nicht wie ein Opfer, dann wirst du auch nicht dazu gemacht.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort, ohne ihre Begleiterin anzusehen: »Ich stamme aus Hampshire. Meine Eltern hatten elf Kinder, von denen sieben überlebten. Da gab es viele Mäuler zu stopfen. Mit zwölf Jahren ging ich nach London, um Arbeit zu suchen, aber zuerst schlug ich mich mit Betteln durch. Es war hart, aber in London gibt es viele Übernachtungsmöglichkeiten, die nichts kosten. Mal schlief ich in den Schafgehegen auf dem Markt von Smithfield, mal in Ställen, auf Heuschobern und in Scheunen. Ich wusste damals nicht, wie gefährlich das für eine Frau sein kann. Eines Abends fragte ich einen Mann, ob es in der Nähe eine Scheune gäbe. Er führte mich hilfsbereit zu einem verlassenen Heuschober und sagte, dort sei ich ungestört. In der Nacht kehrte er mit vier anderen Männern zurück. Zwei hielten mich fest, während die anderen mich vergewaltigten, dann tauschten sie die Plätze. In den frühen Morgenstunden ließen sie mich für tot liegen. Aber ich überlebte. Von da an schlief ich nie wieder allein in einer Scheune.« Sie blickte Kitty eindringlich an, und das Mädchen sah Tränen in ihren Augen glitzern. »Du musst dich entschlossen zur Wehr setzen. Es mag nicht immer helfen, aber es ist besser, als einfach alles geschehen zu lassen.«
    Während sie durch die Gassen gingen, fiel Kitty auf, dass viele Geschäfte geschlossen hatten. Die Kirchenglocken läuteten gedämpft.
    »Ist heute ein Feiertag?«, fragte sie überrascht.
    »Heute ist ›Galgentag‹«, belehrte Betty sie. »Die Gauner, die letzte Woche vor dem Old Bailey zum Tode verurteilt wurden, werden heute gehängt. Seit langem ist es bei den Kaufleuten und Handwerkern Sitte, den Lehrknaben an diesem Tag freizugeben, damit sie sich die Hinrichtung ansehen und begreifen, was ihnen blüht, wenn sie vom rechten Weg abweichen.«
    Kitty war blass geworden. Sie dachte an Susannah. Hatte deren Hauswirtin nicht prophezeit, dass sie diesmal am Galgen enden würde?
    »Ich muss

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